Nach dem Tod von Laura Dahlmeier: Garmisch trägt Trauer

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Wenn auf der Autobahn bei Höhenrain die Zugspitze in den Blick kommt, spielen einem die Synapsen einen Streich. Der Berg, der einem jahrzehntelang erhaben und über den Dingen stehend vorkam, wirkt plötzlich schroff, kalt, abweisend, geradezu unverschämt gefährlich. Weil in diesen Synapsen eben ständig auch die Nachrichten von Laura Dahlmeier herumschwirren: im fernen Pakistan von einem Steinschlag getroffen, mindestens schwer verletzt, Suche dauert an, bislang kein Lebenszeichen - Nachrichten aus der Hölle. Eine Ungewissheit, die an diesem Mittwochmorgen kaum zu ertragen ist – und die erst vier Stunden später am Nachmittag zur traurigen Gewissheit werden sollte.
Garmisch: Ein Ort in Trauer
Wie sieht es in den Stunden vor dieser Schicksalsmeldung in Garmisch-Partenkirchen aus, der Heimatstadt der so erfolgreichen Ex-Biathletin und maximal beliebten TV-Expertin? Ein Ortsbesuch. Erst mal zur Bergwacht, der Dahlmeier als staatlich geprüfte Ski- und Bergführerin seit vielen Jahren angehörte. Die Zentrale der Bergretter liegt in der Auenstraße, am Ortsrand, gegenüber des Krankenhauses, in dem schon so viele berühmte Wintersportler zur Welt kamen. Ringsum marschieren kurz behoste Rucksackträger zur Eckbauer-Bahn, als wäre nichts geschehen.
Vor dem Kainzenbad wartet ein Rudel ungeduldiger Teenager, bis die Pforten des Freibads endlich öffnen. Drinnen im Gebäude der Bergwacht herrscht dagegen Bürobetrieb, Tastaturgeklapper. Ein älterer Bergwachtler grüßt den Reporter und kann zum Drama um ihr bekanntestes Mitglied auch nicht viel mehr sagen als: "Der Vater und die anderen hocken schon seit gestern nebenan und telefonieren. Da gibt’s ja jetzt so viel zu regeln…" Zu regeln? Weiß der Mann mehr als der mitbangende, mithoffende und Daumen drückende Reporter? "Schauen’s halt mal rüber", sagt er noch, aber das kommt ja nun wirklich nicht in Frage.

Stille bei den Vereinen
Weiter zu Dahlmeiers Skiclub, dem SC Partenkirchen, für den auch schon so viele große Namen (die Neureuthers, die Rieschs) an den Start gingen und gehen. Sehr idyllisch liegt dessen Geschäftsstelle in der Schnitzschulstraße, zwei Damen sitzen am Computer, bescheiden den Fragesteller aber nur mit einem kurzen "Wir geben keinen Kommentar ab" und beugen sich wieder über ihre Tastaturen. Verständlich, was soll man auch sagen angesichts einer solch dramatischen Situation?
Ein paar hundert Meter weiter, nahe des Bahnhofs, steht das Einrichtungshaus Dahlmeier, auf den Markisen der Slogan "Das Leben schön einrichten". Es ist geöffnet, gerade ist Sommerschlussverkauf, die Schaufenster sind mit großen Prozent-Plakaten beklebt. Lauras Vater Andreas und ihr fünf Jahre jüngerer Bruder Pirmin sind beide Raumausstattermeister, mit Pirmin hat Dahlmeir viele Bergtouren unternommen, vor knapp zwei Jahren auch im fernen Tadschikistan.

Erinnerungen an gemeinsame Abenteuer
Im Pamir-Gebirge bestiegen sie gemeinsam einen Siebentausender, den Versuch an einem zweiten Gipfel hatte Laura Dahlmeier abbrechen müssen, wie sie im Interview mit der AZ erzählte: "Ich sagte zu meinem Bruder: ‚Das wird heut nix. Mir geht’s nicht so gut, mir ist superkalt, ich bringe die Füße einfach nicht warm. Geh’ du zu, mach keinen Blödsinn und geh’ den Guides hinterher!’ Ich habe das mit ihm zuvor durchgesprochen. Für mich wäre es das Schlimmste gewesen, wenn er wegen mir hätte umdrehen müssen. Es ist schon wichtig, dass man sich da auf einander verlassen kann. Ich habe ja gesehen, wie er auf unserem ersten Gipfel unterwegs war. Er ist ein besonnener Bursch'."
Keine einfache Entscheidung, wie sie zugab: "Es war eine besondere Situation. Ich war noch nie länger mit ihm unterwegs gewesen; wir machen schon unsere Touren, aber es nicht so, dass wir 14 Tage zusammen in Urlaub fahren. Aber es wäre das Allerschlimmste gewesen, wenn da irgendwas passiert. Auf Expedition geht man ein anderes Risiko ein, ein höheres als bei einer normalen Tour daheim." Ein Risiko, das ihr nun in Pakistan zum Verhängnis wurde. Am Mittwochnachmittag, kurz nach der Meldung vom Tod der 31-Jährigen, veröffentlicht ihr Management eine Stellungnahme der Familie: "Wir nehmen Abschied von einem großartigen Menschen. Laura hat mit ihrer herzlichen und geradlinigen Art unser Leben und das Leben vieler bereichert. Sie hat uns vorgelebt, dass es sich lohnt, für die eigenen Träume und Ziele einzustehen und sich dabei immer treu zu bleiben. Wir sind von Herzen dankbar, liebe Laura, dass wir an deinem Leben teilhaben durften. Unsere gemeinsamen Erinnerungen geben uns Kraft und Mut unseren Weg weiterzugehen."
Ein letzter Wunsch von Laura Dahlmeier
Derweil ist am anderen Ende der Welt, die Bergung des Leichnams für die Rettungskräfte unter den aktuell herrschenden Bedingungen mit Steinschlag und Wetterumschwung am Laila Peak mit einem zu hohen Risiko verbunden und derzeit nicht realisierbar. Es sei Laura Dahlmeiers ausdrücklicher und niedergeschriebener Wille, dass in einem Fall wie diesem, niemand sein Leben riskieren darf, um sie zu bergen, teilt das Management weiter mit. Ihr Wunsch sei es gewesen, ihren Leichnam in diesem Fall am Berg zurückzulassen. Dies sei auch im Sinne der Angehörigen, die ausdrücklich darum bitten, Lauras letzten Wunsch zu respektieren.
Abschied in Garmisch
Zurück nach Garmisch. In der Pfarrkirche St. Martin, gelegen zu Füßen des Kramers, diesem gewaltigen Bergstock, den Laura Dahlmeier so oft und gerne bestiegen hat, herrscht am Mittwochvormittag Stille. Links vom Altar liegt ein offenes Buch: "Wir gedenken unseren Verstorbenen" steht da, je ein Name am 28. und 29. Juli sowie fünf am 30., allesamt hochbetagt, einer wurde sogar 97 Jahre alt. Laura Dahlmeier wäre in drei Wochen 32 geworden. Auch Felix und Miriam Neureuther, die unweit von Dahlmeier wohnen, können das Unglück und den viel zu frühen Tod nicht begreifen. In seiner Instagram-Story schreibt Dahlmeiers Vereinskamerad Neureuther nur: "Fassungslos und tieftraurig. Ruhe in Frieden, liebe Laura."

Eine viel zu kurze Zukunft
Wieder zurück auf der Autobahn, die finsteren Berge diesmal im Rücken. Bei Ohlstadt fährt man am Landgestüt Schwaiganger vorbei. Hier hätten 2018 mal Olympische Winterspiele Station machen sollen, Langlauf- und Biathlon-Wettbewerbe waren in dem wunderschönen Gelände geplant. Jahre bevor die Bewerbung scheiterte, stellte man nicht nur dem IOC, sondern auch den Journalisten die Anlage vor.
Eingeladen war auch eine junge, aufstrebende Nachwuchskraft mit roten Wangen und großer Begeisterung im Blick: Laura Dahlmeier. Dass sie mal zwei Olympische Goldmedaillen und zig weitere Siege einfahren würde? Damals war das Zukunftsmusik. Nun ist ihre Zukunft schon viel zu früh zu Ende. Ach, Laura.