Nach Auftaktspringen der Vierschanzentournee: Jagdstimmung bei den DSV-Adlern
Der stetig anschwellende Lärmpegel im Hexenkessel am Fuße der Schattenbergschanze war für Karl Geiger und Andreas Wellinger wie ein Energiebeschleuniger. Getragen vom Stimmungsorkan aus 25.000 Kehlen schafften die derzeit besten deutschen Ski-Adler, was sie sich für den Auftakt der Vierschanzentournee erhofft hatten - den Anschluss an die absolute Weltspitze.
Wellinger konstant, Geiger voller Zuversicht
"Es ist der Hammer, das macht richtig, richtig Laune", sagte Wellinger, der sich so konstant wie noch nie in diesem Winter präsentierte. Als Sechster liegt der Ruhpoldinger ebenso in Schlagdistanz zum Tournee-Podest wie Geiger. Dem von der Atmosphäre genauso beflügelten Oberstdorfer glückten auf seiner gar nicht mal so innig geliebten Heimschanze zwei tadellose Versuche, die ihm Zuversicht verliehen.
"Respekt, was sie unter diesen Bedingungen abgeliefert haben."
"Der erste Schritt ist gemacht", erklärte der 29-Jährige spürbar erleichtert, "das erste große Spannungslevel fällt mal ab." Auch Bundestrainer Stefan Horngacher war glücklich über die Darbietung seiner beiden Vorzeigeflieger. "Respekt, was sie unter diesen Druckbedingungen abgeliefert haben. Wir sind sehr, sehr zufrieden", sagte der Wahl-Schwarzwälder.
"Wenn Granerud sich Fehler erlaubt, werden andere in den Startlöchern stehen."
Und nun beginnt mit dem Neujahrsspringen am Sonntag in Garmisch-Partenkirchen (14 Uhr/ARD und Eurosport) die Jagd - die Jagd auf Halvor Egner Granerud. Auf den Norweger, der in Oberstdorf in eine eigene Dimension sprang und sich zum Top-Favoriten für den Gesamtsieg aufschwang.

"Ich weiß selber, wie das ist, die Tournee hat ihre eigenen Regeln. Wenn er sich Fehler erlaubt, werden andere in den Startlöchern stehen", merkte Geiger an und erhöhte damit sanft aber unverkennbar den Druck auf Granerud. Schließlich ist die Tournee nicht nur eine extrem fordernde Sprungprüfung, sondern verlangt den Sportlern auch mental viel ab.
13 Punkte Vorsprung auf den Zweitplazierten
Stabilität ist das Geheimnis zum Erfolg, wie etwa Wellinger im AZ-Gespräch unterstrich: "Die Konstanz muss da sein, weil das internationale Feld zu stark ist, um sich Fehler erlauben zu können." Ob der 26-jährige Granerud dazu fähig ist?

13 Punkte Vorsprung - umgerechnet siebeneinhalb Meter - besitzt er schon auf den zweitplatzierten Piotr Zyla. Nach seinem kometenhaften Aufstieg vor zwei Jahren könnte es im dritten Anlauf mit dem Tournee-Gesamtsieg klappen. "Der erste Sprung war meiner Meinung nach der beste dieser Saison", lobte sein Trainer Alexander Stöckl zudem.
Fragil bei störenden Einflüssen
Doch so perfekt seine Sprünge in Oberstdorf anmuteten, so fragil ist sein System doch hin und wieder bei Störeinflüssen. Vor der Tournee 2020/21 schien Granerud schon einmal nahezu unschlagbar. Doch zwei verkorkste Springen in Innsbruck und Bischofshofen warfen den bis dahin führenden Granerud aus dem Rennen.
Geiger: "Wir sind dran und haben Lunte gerochen"
"Er ist voll im Fluss", sagte DSV-Coach Horngacher über ihn, ergänzte aber zugleich: "Er hat sich auch den großen Rucksack abgeholt, den muss er jetzt mitschleppen."
Und sich eben nicht nur gegen die Angriffe der Polen um Zyla und den bisherigen Saison-Dominator Dawid Kubacki wappnen, sondern genauso auf Geiger und Wellinger achten. "Wir sind dran und haben Lunte gerochen", sagte Horngacher mit tiefer Genugtuung, nachdem die Zweifel an der Verfassung der besten Deutschen verflogen waren: "So habe ich mir das vorgestellt - voll dabei sein und dann während der Tournee steigern."
Die wichtigste Horngacher-Erkenntnis: "Das ist erstmals der Wettkampf-Geiger in dieser Saison gewesen, er ist in seinem Schema." Der Angesprochene sieht das ähnlich. "Ich habe gesagt, wenn ich in Oberstdorf gut springe, kann ich auch für die anderen Schanzen optimistisch sein - so ist es gekommen", betonte Geiger.
Träume vom ersten deutschen Tournee-Champion seit Sven Hannawald vor 21 Jahren sind gleichwohl noch unangebracht. Doch das muss nicht so bleiben...
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