Münchner mit asiatischer Leichtbauweise
Berlin - Nicht auf dem Barren, nicht am Boden und nicht am Reck. Der entscheidende Moment, der aus dem Spitzensportler Marcel Nguyen am Ende einen Weltklasse-Turner machte, geschah zu Hause auf dem Sofa. Der 23-jährige gebürtige Münchner hatte sich im September 2010 das Wadenbein gebrochen. „Das war ein Schock”, sagt Nguyen, „die WM im Oktober habe ich im Fernsehen verfolgt.”
Den anderen bei ihren Übungen zuschauen zu müssen, wie sie sich im Kampf um die großen Titel maßen, weckte etwas in ihm: „Ab dann habe ich in der Reha alles gegeben”, sagt Nguyen, der zuvor noch keinen großen Einzelwettbewerb gewonnen hatte. Er kam stärker als je zuvor zurück – und ist nun Europameister am Barren. „Ein wenig gehofft habe ich so etwas schon”, sagt Nguyen, „am Ende ist ein Traum in Erfüllung gegangen.”
Ein Traum, der mit vier Jahren beim Mutter-Kind-Turnen des TSV Unterhaching begann. Marcel Van Minh Phuc Long Nguyen, wie der Sohn eines Vietnamesen heißt, schnupperte zum ersten Mal in die Welt des Geräteturnens. Drei Jahre später betrieb er es schon als Leistungssport. Auch wenn Nguyen mittlerweile die meiste Zeit am Olympiastützpunkt Stuttgart lebt: Nach Haching kehrt er immer wieder zurück. „Ich besuche oft meine Eltern und meine Freunde”, sagt Nguyen, der am Isar-Gymnasium 2007 das Abitur gemacht hat.
Gerade einmal 1,68 Meter ist er groß, muskelbepackt, aber dieser Körperbau war sowieso schon immer ein Vorteil. „Er besitzt alle Vorteile eines Turners mit asiatischer Leichtbauweise”, sagt sein Jugendtrainer Andreas Hirsch. Weil Nguyen weniger Masse durch die Luft wuchten muss, fallen ihm spektakuläre Flugeinlagen leichter als der Konkurrenz. Am Barren hat er zum Abgang als einziger in der Weltspitze den Tskukuhara im Programm, „einen Doppelsalto mit Schraube”, erklärt Nguyen, „dieser Abgang ist zwei Zehntel mehr wert als andere”. Tatsächlich: Mit 15,525 Punkten verwies er am Sonntag Epke Zonderland aus den Niederlanden (15,300 Punkte) auf Platz zwei.
Die Erwartungen an ihn sind gestiegen, das weiß Marcel Nguyen. Jetzt kann er nicht mehr überraschen, jetzt muss er bestätigen. Bei der Weltmeisterschaft, deren Austragungsort noch nicht feststeht, bietet sich die nächste Gelegenheit. „Ich bin Europameister, ich weiß was ich kann”, sagt Nguyen.
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