Michael Phelps: Das Ende einer Ära

LONDON Der Blick richtete sich nicht in die berühmte Leere – sondern direkt in den Abgrund. In den Keller der Hoffnungslosigkeit und Erkenntnis: Meine beste Zeit ist vorbei. Und sie wird nie mehr wieder kommen. Michael Phelps klammerte sich am Samstagabend an den Beckenrand des Olympic Aquatics Centers von London und starrte einer Captain Spock ähnlichen Figur gleich auf die Anzeigetafel. Die Rangliste dort wies den 4. Platz für den 27-Jährigen aus. Blech statt Gold über 400 m Lagen, den Sieg holte sein Landsmann Ryan Lochte.
Irgendwann hatte sich bei Phelps die Erkenntnis in ihm durchgerungen, dass er die Buchstaben und Zahlen dort hinten am anderen Ende des Beckens richtig gelesen hatte. Müde klappten nun – fast wie in Zeitlupe – seine Augenlider nach unten. Und es mag ihm vielleicht der Gedanke durch den Kopf geschossen sein, den jeder Sportler kennt, der gerade eine Niederlage zu verdauen hat: War es das alles wirklich wert? Hat es wirklich einen Sinn gemacht, dieses schöne Leben aufzugeben, um wieder Kacheln zu zählen? Dem Pokern, Faullenzen, Wasserpfeiferauchen, Talkshowbesuchen und sogar Golfen (wie eine US-Zeitung empört konstatierte) hatte Phelps sich in der Zeit nach seinem Fischzug von Peking hin gegeben – ausgestattet mit dem Nie-mehr-arbeiten-müssen-Wissen und der Aussicht auf angeblich 100 Millionen Werbe-Dollars. Ehe er nach etlichen Monaten Müßiggang das süße Leben erstaunlicherweise doch beendete und wieder zum Sportsmann mutierte.
Für Phelps war es die erste Niederlage bei Olympia seit seinem dritten Platz 2004 in Athen beim großen Rennen über 200 Meter Freistil. Noch ist nicht aller Schwimmbahnen Ende hier in London, doch eines zeichnet sich jetzt bereits ab: Michael Phelps (2008 in Peking: acht Starts, acht Mal Gold) ist nicht in der Form, um seinen großen Traum zu verwirklichen: Als erster Wassermensch bei drei Olympischen Spielen hintereinander in der gleichen Disziplin (200 Meter Schmetterling am morgigen Dienstag) zu siegen.
Die jungen Wilden werden ihn respektlos attackieren. Dass Phelps mit 14 Goldmedaillen der erfolgreichste männliche Olympionike aller Zeiten ist, juckt die Youngster wenig. „Es ist absolut frustrierend, wie ich in diese Spiele gestartet bin”, bekannte Phelps hinterher. „Und ich sollte eigentlich wütend auf mich sein. Aber ich war so müde, dass ich auf den letzten hundert Metern fast die Arme nicht mehr aus dem Wasser bekommen habe...” Die Konkurrenz kann aufatmen.
Wie auch Larissa Latynina: An ihren „Gesamt”-Rekord von 18 olympischen Goldmedaillen kann Phelps mit drei Siegen in den US-Staffeln zwar noch hinhecheln – doch die Sowjetturnerin von einst wohl unmöglich noch überholen. Denn der Sieg in einem Einzelrennen erscheint für Phelps momentan so weit entfernt wie Peking von London. Eine Ära geht zu Ende.