Matti Nykänen: Ein Leben zwischen Himmel und Hölle
Helsinki - Wenn er durch die Luft schwebte, sein einzigartiges Fluggefühl ausspielte, fühlte er sich wohl, frei, unbeobachtet, unbeschwert, verstanden – und war ganz er selbst. Doch kaum war Matti Nykänen am Boden angekommen, waren sie wieder da. Die ständigen Begleiter: die Sorgen, die Ängste, der Druck, das Unverstandenfühlen.
Er, der das Skispringen dominiert hatte wie kaum ein Zweiter, war wie ein Phoenix auferstanden, dann aber voller Übermut zur Sonne emporgestiegen, hatte sich dort die Flügel versengt und war danach in den Abgrund gestürzt. In die Abgründe seiner Seele. Der Mann, der sportlich alle Grenzen sprengte, kannte nie ein Limit, wenn es um Exzesse, Ausschweifungen, Abstürze ging. Alkohol, Gewalt, Verurteilungen, Gefängnisaufenthalte. Das war das andere Leben des Matti Nykänen. Jetzt - mit nur 55 Jahren - ist er tot. Die Todesursache ist noch nicht bekannt. Vor einem Jahr war bei ihm Diabetes diagnostiziert worden.
"Flieg, und komm lebend zurück"
"Das ist eine schlimme Nachricht, schockierend. Für mich ist er der Größte aller Zeiten", sagte sein langjähriger Konkurrent Jens Weißflog. Noch am Freitag war Nykänen, der Olympiasieger von 1984, der Triple-Olympiasieger von 1988, der sechsmalige Skisprung-Weltmeister, der zweimalige Gewinner der Vierschanzentournee, der viermalige Gesamtweltcupsieger, der Skiflug-Weltmeister, der 46-malige Weltcup-Sieger auf der Bühne der Bar Ravintola Pallogrilli in Helsinki aufgetreten. "Lennä Nykäsen Matti" (Flieg, Matti, flieg") sang er, der als Popsänger durch seine Heimat tingelte, um irgendwie Geld für sein Leben, das er außerhalb des Sports nie im Griff hatte, zu verdienen. "Tule elävänä takaisin" – "Flieg, und komm lebend zurück" heißt es in dem Song weiter.
Doch Matti Nykänen kehrt nie mehr zurück. "Ich habe es selber gerade erfahren, ich bin von unbändiger Trauer erfasst", bestätigte seine Mutter Vieno der finnischen Zeitung "Iltalehti" den Tod ihres Sohnes. Auf den Schanzen war der Mann aus Jyväskylä der König, "Maradona des Skispringens" wurde er genannt. Doch ähnlich wie die argentinische Fußball-Ikone, die immer wieder mit Drogengeschichten für Aufsehen sorgt, hatte auch Nykänen ein zweites Gesicht. Es gab eben nicht nur Matti Nykänen, den Überflieger, sondern auch Matti Nykänen, den gefallenen Helden. Ende der 80er Jahre begann sein sportlicher Stern zu sinken. Immer öfter war in Skisprungkreisen zu hören, dass er mit einer Fahne zu den Springen erschien. 1991 trat er glanzlos ab.
Der Alkohol machte aus ihm einen andere Menschen
Doch sein persönlicher Erzfeind, der Dämon Alkohol, ließ Nykänen nie los. "Ich glaube, die Hölle ist nicht so schlimm, wie mein Leben war. Die Hölle muss ein besserer Ort sein", sagte Nykänen 2012 der "Welt am Sonntag". 2003 wurde seine Biografie "Grüße aus der Hölle" veröffentlicht. Er musste sogar als Stripper Geld verdienen. In den 80er und 90er Jahren war er dreimal verheiratet, doch die Liebe war jeweils der anderen Seite des Matti Nykänen nicht gewachsen. Wenn er trank, wurde er zu einem anderen Menschen. Er, der große Schweiger, wurde ausfällig, wurde gewalttätig.
Nykänen richtete sich selbst zugrunde. 2004 dann einer der Tiefpunkte. Er wurde zusammen mit seiner Frau wegen versuchten Totschlags verhaftet. Im Alkoholrausch sollen die beiden versucht haben, einen Freund zu erstechen. Der Grund: Sie hatten sich ums Fingerhakeln gestritten. Der Richter brummte Nykänen eine 26-monatige Haftstrafe auf. Nach 13 Monaten wurde er auf Bewährung entlassen.
Gewalt im Vollrausch
Nur 103 Stunden nach der Entlassung wurde er wieder verhaftet. Im Vollrausch soll er seiner Frau Mervi mit einem schweren Gegenstand eine blutende Kopfwunde zugefügt haben. Mervi verzichtete auf eine Anzeige, Nykänen kam frei. 2006 wurde er erneut wegen der Misshandlung einer Frau zu einer viermonatigen Strafe verurteilt. 2012 sah es so aus, als ob er sein Leben in den Griff kriegen würde, er hatte Susanna kennen- und liebengelernt. "Jetzt lebe ich ein normales Leben – und das ist der Himmel für mich. Ich bin dem Himmel so nahe", sagte er da der "Welt am Sonntag". Doch die Beziehung scheiterte, Nykänen versuchte wieder, die Leere in sich zu füllen. Mit dem Mittel, zu dem er immer griff, wenn er nicht weiterwusste: Alkohol. Jetzt ist Matti Nykänen tot. Der Mann, der dem Himmel so nahe war, dessen Leben aber Grüße aus der Hölle waren.
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