Markus Eisenbichler gibt Tipp ab: DSV-Adler Hoffmann wird Dritter bei der Tournee

AZ: Herr Eisenbichler, erst vor neun Monaten ist ihre Skisprung-Karriere zu Ende gegangen. Was genießen Sie jetzt am meisten am "Rentner-Dasein", das während der Karriere nicht möglich war?
MARKUS EISENBICHLER: Einfach mal nicht gebunden zu sein an Trainingspläne, an Vorgaben. Das Skispringen war eigentlich mein ganzes Leben. Ich finde es schön, ganz normal in die Arbeit zu gehen, am Abend wieder heimzukommen, am Wochenende frei zu haben, das zu machen, was ich gern mag. Ich habe keine Trainingspläne, keine Vorgaben. Ich ernähre mich noch immer bewusst und sportlich. Aber ohne Druck und Leistungsgedanken das Leben zu und nicht so getaktet zu sein – das genieße ich. Vor allem die Reiserei hat mich schon immer gestresst, Du verbummelst viel Zeit am Flughafen, im Auto – das kann anstrengend sein. Also wenn man sich beamen könnte, ich wäre sofort dabei.
Seit knapp einem Monat sind TV-Experte bei Eurosport und damit weiterhin ganz nah dran am Skisprung-Zirkus. Gab es im Frühjahr/Sommer den Gedanken, zumindest vorerst größeren Abstand zu gewinnen, oder ist das eine Rolle, die sie direkt im Kopf hatten?
Nach meinem Karriereende habe ich schon ab und zu mal zugeschaut beim Training, weil es mir doch irgendwo ein bisschen interessiert. Aber das habe ich halt gemacht, wenn ich Lust darauf hatte, um die anderen mal zu sehen, mal zu fragen, wie es so geht. Dass man wirklich einen Cut macht, ist jetzt bei mir nicht möglich gewesen und wollte auch nicht, für das mag ich Skispringen einfach zu gern. Der Kontakt zu Eurosport kam etwa einen Monat nach meinem Karriereende, da wurde ich angefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Als die Anfrage kam, habe ich mir in Ruhe Gedanken darüber gemacht. Ich habe mir auch Rat geholt von Severin Freund, Werner Schuster. Ich habe mit Freunden und Familie gesprochen, dass da etwas im Raum steht.
Eisenbichler TV-Experte bei Eurosport: "Ich will Emotionen reinbringen"
Wie sehr haben Sie sich schon am TV-Mikrofon eingegroovt, welche Ansprüche haben Sie an sich selbst in dieser Position?
Was ich näherbringen möchte, ist die Faszination Skispringen. Warum habe ich das so lang gemacht? Ich will Emotionen reinbringen. Wie fühlen sich die Athleten in so einer Situation, die gerade vorherrscht, zum Beispiel kurz vor der Tournee? Wenn du durch gute Leistungen im Top-Kreis bist, was geht dir da durch den Kopf und wie kannst du das vielleicht auch positiv nutzen? Da ist ja jeder unterschiedlich. Ich kann nur aus meiner Sicht, wie ich das damals wahrgenommen habe, erzählen. Was mir halt immer wichtig ist, auch wenn es bei einem nicht läuft, dem Zuschauer zu erklären, dass das Skispringen nicht so einfach ist, wie das manchmal medial dargestellt wird. Es ist ein Auf und Ab und da mag ich ein bisschen Klarheit reinbringen, wieso das passieren kann. Der Athlet macht es nicht mit Absicht, dass er "schlecht" skispringt, sondern der möchte besser springen. Und du spürst dann auch den öffentlichen Druck, willst das vielleicht noch mehr erzwingen und es geht noch mehr in die falsche Richtung, weil du dir selbst viel Druck machst. Manchmal muss man sich ablenken von dem medialen Trubel, mir hat das Skitourengehen immer sehr geholfen. Dann merkt man, es gibt auch wichtigere Sachen, wie jetzt verbissen auf Skispringen zu schauen. Das möchte ich dem Zuschauer vermitteln: Das sind keine Maschinen, sondern Menschen mit Gefühlen – und Kommentare in den sozialen Medien wie "Hör doch lieber auf" gehen nicht spurlos an einem vorbei. Manche können das gut wegstecken, viele aber nicht.
Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck, Bischofshofen – wie wichtig ist bei diesem wilden Ritt der Vierschanzentournee in neun Tagen der Kopf?
Wenn du in Form bist und den medialen Druck entweder nicht an dich ranlässt oder ihn positiv nutzt, dann ist es ziemlich einfach. Dann entscheiden Nuancen, der Coolste oder Glücklichste gewinnt. Aber das Schöne bei der Tournee ist, du hast vier verschiedene Schanzen, vier verschiedene Möglichkeiten. Das ist immer wieder eine neue Chance. Das ist anders als bei einer WM oder bei Olympia, da sind es nur zwei Durchgänge. Beim einen hast du Glück, beim anderen Pech und dann war es das. Und bei der Vierschanzentournee kannst Du das ausgleichen – viermal Pech funktioniert da nicht. Natürlich muss deine Leistung stimmen, aber ich glaube, wenn man da einfach entspannt reingeht in die Tournee, wenn du weißt, du bist top in Form, da braucht man jetzt nicht nur großartig vorher trainieren, sondern einfach wirklich einmal Ruhe zulassen. Die Zeit im Weltcup vor der Tournee ist anstrengend genug. Ich beispielsweise habe das eigentlich immer genutzt, wenn ich gut in Form war, wirklich mal abzuschalten, zwei, drei Krafttrainings gemacht oder zur Physio gegangen und wirklich die Zeit genossen zu Hause mit Freunden und Familie. Es gibt kein Rezept. Im Endeffekt musst du gut rein starten in Oberstdorf. Und das Wichtigste ist, dass der äußere Druck dir nicht zu viel wird, sondern dass Du im Kopf ein cooler Hund bist. Man wird sehen, wer die Tournee gewinnt. Aber natürlich wird es einer von den Top-Favoriten sein. Für das ist das Feld zu dicht.

Eisenbichler über Wellinger und Geiger: "Sie werden wiederkommen"
Mit einem guten Gefühl dürften Felix Hoffmann und Philipp Raimund in die Tournee gehen. Der Weltcup-Viertplatzierte Raimund landete bei der Generalprobe in Engelberg zweimal Vierter, der Weltcup-Neunte Hoffmann landete gar zweimal auf dem Podium. Was trauen sie den beiden Deutschen zu?
Wenn sie bei sich bleiben, ruhig bleiben, dann traue ich denen schon viel zu. Wenn sie wirklich einfach nur "stupide" bei dem bleiben, was sie jetzt gemacht haben, auf die Sprünge schauen, auf die Leistung schauen, was sie beeinflussen können und nicht was drumherum passiert. Das ist halt bei uns in Deutschland so, wir warten jetzt seit 24 Jahren, dass mal wieder einer den Gesamtsieg holt. Ich würde es cool finden, aber man kann es halt nicht erzwingen. Hanni (der bisher letzte deutsche Tourneesieger Sven Hannawald; die Redaktion) weiß es ja auch, er war da einfach im Flow, hat da eine Überform gehabt und dann passiert es einfach. Und wenn man es zu sehr will, dann geht es meistens kurz vor Ende in die Hose. Ich weiß, wie das ist, aber man muss anerkennen, wenn einer besser ist. Irgendwann wird es mal wieder passieren. Ob es dieses Jahr passiert? Das Schöne bei der Tournee ist, sie ist jedes Jahr wieder. WM oder Olympia, das ist halt nicht jedes Jahr wieder. Es gibt andere Highlights in dem Winter, die kommen.
Für die etablierten Wellinger und auch Karl Geiger läuft der Winter ganz anders als gewünscht, beide pausierten zuletzt im Weltcup, um an ihrer Form zu arbeiten. Der richtige Schritt in Ihren Augen?
Ja. Ich weiß, wie das ist, wenn man wirklich in einem Formtief steckt. Man macht das ja nicht mit Absicht. Manch einer hat dann kleinere Verletzungen aus dem Sommer, auch das private Umfeld spielt beim Leistungssportler immer eine Rolle. Dann kannst du vielleicht nicht so trainieren, wie du trainieren möchtest im Sommer und dann schleifen sich kleine Fehler vielleicht mal ein und dann steht die Saison schon vor der Tür. Ja, wenn du mal so ein Formtief hast, ist es clever, dass du rausgehst, weil wenn du die ganze Zeit auf den "Deckel" kriegst im Backup und um die Quali im Endeffekt kämpfst, das macht keinen Spaß, wenn du schon Erfolge gefeiert hast. Sie werden wiederkommen. Wir brauchen keine Wunder erwarten bei der Tournee, sondern die sollen sich da wieder in Form springen und auf die anderen Events schauen, wie Skiflug-WM, Olympia. Sie haben schon bewiesen, wenn große Events sind, dass sie da Medaillen holen können, und im Endeffekt geht es dann darum. Und da brauchst du mentale Stärke.

Eisenbichler: Felix Hoffmann wird Dritter bei der Tournee
Der Slowene Domen Prevc ist der Dominator im Weltcup – auch wenn nach fünf Siegen in Folge am Sonntag der zweimalige Tournee-Sieger Ryoyo Kobayashi siegte. Ein Zweikampf um den Gesamtsieg?
Es wird mehr, vor allem, wenn ganz normale Bedingungen und faire Verhältnisse herrschen. Es sind immer so fünf Springer, die eng beieinander sind. Man darf auch Ren Nikaido nicht unterschätzen, der ein paarmal auf dem Podest und regelmäßig in die Top 5 springt. Stefan Kraft darf man nie unterschätzen, der hat jetzt eine kleine Pause eingelegt, in Klingenthal war er gleich wieder auf dem Podest. In Engelberg ist er nicht so zurechtgekommen, das ist aber auch nicht so seine Lieblingsschanze, aber Oberstdorf, die kann er brutal. Er weiß halt ganz genau, er hat Erfolge im Hintergrund, er hat die Tournee schon gewonnen, Gesamtweltcup gewonnen - Wahnsinn. Ihn habe ich auf der Rechnung. Dann hast du Anze Lanisek. Oberstdorf mag er nicht, aber wenn er die Schanze meistert, kommt Garmisch, da ist der gefährlich. Natürlich ist Domen Prevc der Top-Favorit. Aber der ist schon mal als Favorit mit 17 oder 18 Jahren mit dem Gelben Trikot angereist und dann ging gar nichts, bei der Tournee war er ganz weit hinten. Jetzt aber ist er reifer, erwachsener, das fällt mir auf. Ich war mit ihm auch lange unterwegs und er hat lang ein bisschen jugendlichen Leichtsinn gehabt. Jetzt hat er die Konstanz einfach drin, an ihm muss man vorbei. Trotzdem: Es war schon oft so, dass der Mann in Gelb nicht die Tournee gewinnen kann, das haben wir leider letztes Jahr bei Pius Paschke erst gesehen.
Wie lautet das Tournee-Podium nach dem Finale 2026?
Sehr fies, die Frage (lacht). Kobayashi wird gefährlich und Prevc. Die Zwei machen das untereinander aus. Ich schätze aber mal mit der Coolness, die er hat, wird es Kobayashi machen vor Prevc. Ich erwarte ein enges, sehr enges und wenn es fair runterläuft bei jedem Springen, dann geht das bis Bischofshofen. Das ist eine sehr spezielle Schanze, da kannst du mal schnell fünf bis sieben Meter verlieren. Dritter wird Felix Hoffmann, denn der hat eine solide Grundtechnik. Wenn er am Tisch nicht arg zu spät ist, kann der da anklopfen. Philipp Raimund ist auch ein heißes Eisen. Und Stefan Kraft. Vielleicht werden wir ja noch überrascht und am Ende ist doch noch ein Deutscher ganz vorne. . .