„Lewis ist ein Provokateur“
Damon Hill war der letzte englische Weltmeister. Hier lesen Sie, was er von seinem Nachfolger hält – und warum er sich endlich mit Schumi versöhnen will.
Von Peter Hesseler
AZ: Hello, Mister Hill, Ihr Landsmann Lewis Hamilton ist nach 12 Jahren der erste britische Champion. Wie empfinden Sie die Reaktion darauf in Ihrem Land?
Erst gratulierte der Premierminister, dann englische Queen, die Medien stehen Schlange. Lewis wird sich jetzt etwas zurückziehen, und je mehr er das tut, desto mehr wird über ihn geredet und geschrieben, ganz klar. Das ist ein normaler Prozess. Hamilton ist jetzt ein Jahrhundert-Ereignis. Sein Erfolg wird England, dem Mutterland des Motorsports, einen ordentlichen Schub geben. Und den brauchen wir auch.
Erinnert Sie die Stimmung an Ihren Titelgewinn 1996?
Durchaus, vor allem die Geschichten in den Zeitungen. Alles exakt dasselbe. Das muss man sehen, um es zu glauben. Wenn ich das damals gewusst hätte, hätte ich darüber gelacht, anstatt es ernst zu nehmen.
Wie lange dauert es, bis man einen Formel-1-Titelgewinn verarbeitet hat.
Einige Jahre…Das Schöne ist: Nichts und niemand kann einem den Titel wegnehmen.
Hamilton tat sich am Ende schwer gegen Felipe Massa, der nicht zur Creme der Formel 1 gezählt wird. Gibt das Punktabzüge?
Nein, im Gegenteil. Es gibt vier bis fünf Top-Piloten. Massa hat 2008 sechs Rennen gewonnen, eines mehr als Lewis. Mehr als jeder andere Fahrer. Er war stärker als Vorjahresweltmeister Kimi Räikkönen im gleichen Auto. Massa war ein absolut würdiger Gegner. Es wertet Lewis’ Leistung auf, gegen Felipe gewonnen zu haben.
Die Kritiker fragen sich, ob Hamilton jetzt seine Linie gefunden hat. Oft hat er ja zu viel Gas gegeben.
Es muss schwer für ihn gewesen sein, im Finale unter seinen Möglichkeiten zu agieren. Der Instinkt eines Rennfahrers befiehlt permanent: angreifen, angreifen! Und dieser Instinkt ist bei Lewis besonders stark ausgeprägt.
Sorry, wir erinnern uns am Brechstangen-Manöver, etwa Start in Fuji.
Seien wir ehrlich, solche Sachen haben Ausnahmefahrer wie Ayrton Senna oder Michael Schumacher auch fertig gebracht. Wissen Sie noch, wie Senna mit einer Minute Vorsprung, also völlig unnötig, in Monaco in die Leitplanken crashte?
Das war 1988. Genau wie Senna damals will Hamilton seine Gegner manchmal brüskieren, sie demontieren, sie erniedrigen. Kein schöner Zug.
Mag sein, aber wenn man soviel Talent, Fahrzeugbeherrschung und Selbstbewusstsein hat wie Lewis, muss es schwer sein, damit hauszuhalten. Lewis kann es ja nicht verleugnen. Es ist eine Waffe, die man richtig einsetzen muss.
Dieser „Muhammad-Ali"-Stil wirkt bei Hamilton oft provozierend.
Ja, er ist ein Provokateur. Der Grat zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz ist nun mal sehr schmal. Ich finde Lewis aber nicht arrogant. Dafür ist er zu ehrlich und zu intelligent.
Wo steht er in der Reihe der britischen Champions Jackie Stewart, James Hunt, Nigel Mansell, Damon Hill.
Jeder passt in seine Zeit. Jeder hat seine ganz eigenen Qualitäten. Wie bei Mansell ist Lewis’ Glaube an sich selbst unerschütterlich. Mansell war dazu ein irrer Kämpfer, den die Leute auch für seine vielfach tragischen Niederlagen liebten. Das war bei mir anders. Ich war nicht so selbstbewusst, wahrscheinlich weil ich ein Spätstarter war – und ich war nicht so beliebt.
Ihre Duelle mit Michael Schumacher 1994 bis 1996 waren emotional extrem aufgeladen. Ist das alles ausgestanden?
Ein Wort gab das andere, und über die Jahre wurde es ziemlich viele. Es wäre Zeit, das unter Erwachsenen mal in Ruhe zu besprechen und alles auszuräumen.
Wie? Das ist noch nicht geschehen?
Nein. Ich würde es aber sehr begrüßen.
Wie verfolgen Sie Schumachers Treiben?
Michael war Ende 2006, als er zurücktrat, noch wahnsinnig gut. Es muss schwer für ihn gewesen sein mit dem aufzuhören, was er am meisten liebte. Das ist bei Rennfahrern besonders bitter, denn den Biss, der Beste zu sein, verliert man ja nie, nur die körperlichen Fähigkeiten. Man muss also rational Abschied nehmen von seinem wunderbaren Leben als Rennfahrer. Das ist furchtbar schwer.
Bei Ihrem Abschied Ende 1999 auch?
Natürlich, ich liebte das Rennfahren, merkte aber, ich kann nicht mehr. Michael trickst diesen Mechanismus aus, er fährt weiter Rennen, nur auf dem Motorrad und nicht auf allerhöchstem Niveau.
Verfolgen Sie, was er da so treibt?
Ja. Soweit ich (als Ex-Motorrad-Pilot, die Red.) das beurteilen kann, muss ich sagen: Er ist immer noch verrückt, landet oft mit dem Hintern auf der Straße. Ich kann ihm ein paar Tipps geben.