Interview

Kristina Vogel: "Geduld ist mein Hasswort"

Seit vier Jahren ist die Bahnrad-Ikone Kristina Vogel nach einem Sturz an den Rollstuhl gefesselt. Im AZ-Interview spricht sie über ihr neues Leben als Trainerin und Stadträtin und den Traum vom Gehen.
| Thomas Becker
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Sitzt seit 2018 nach einem Unfall im Rollstuhl: Ex-Bahnradfahrerin Kristina Vogel.
Sitzt seit 2018 nach einem Unfall im Rollstuhl: Ex-Bahnradfahrerin Kristina Vogel. © IMAGO / Karina Hessland

München - AZ-Interview mit Kristina Vogel: Die 31-jährige Erfurterin ist zweifache Olympiasiegerin und elffache Weltmeisterin im Bahnradfahren.

AZ: Frau Vogel, am Sonntagnachmittag sitzen Sie beim Wings for Life World Run im Olympiapark im Catcher Car, das sozusagen das Feld von hinten aufrollt und nach und nach die Läufer einsammelt, wie der so berühmte wie ungeliebte Besenwagen bei den Rennradfahrern auf der Straße. . .
KRISTINA VOGEL: Bei den Bahnradfahrern gab's den zum Glück nicht. Aber am Sonntag wird das bestimmt lustig. Ich sitze ja mit Rennfahrerin Sophia Flörsch im Catcher Car.

Ist das am Sonntag nun Ihre erste Teilnahme an diesem weltweit stattfindenden Charity-Lauf?
2019 war ich schon mal live vor Ort, konnte aber nicht mitmachen, weil ich nach meinem Unfall körperlich noch nicht in der Verfassung dazu war. Bei den folgenden App-Runs während der Corona-Pandemie habe ich immer fleißig mitgemacht.

Vogel: "Dürfen  nicht aufhören zu träumen"

Das Motto der Veranstaltung heißt "Laufen für die, die nicht laufen können". Die 2004 gegründete gemeinnützigen Stiftung Wings for Life hat sich zum Ziel gesetzt, eine Heilung für Rückenmarksverletzungen und Querschnittslähmungen zu finden. Wie viel Hoffnung haben Sie, irgendwann wieder gehen zu können?
Nach meinem Unfall war für mich klar: 'Das war's jetzt.' Ich hatte damit ein Stück weit abgeschlossen. Das war dann halt so. Ich bin da ein eher kühler Realist. Aber dann habe ich die Stiftung kennengelernt - und seitdem glaube ich da wieder dran! Es gibt da gute Fortschritte. Sicherlich sind wir kurz davor, was in der Wissenschaft aber schon noch mal 10, 20 Jahre bedeutet. Dennoch dürfen wir nicht aufhören zu träumen, sondern müssen weitermachen mit der Arbeit.

Wie gehen Sie auch in Ihrem Alltag mit dem Thema Geduld um?
Vorneweg mal: Ich bin ja nicht krank, ich kann nur nicht gehen. Aber es geht ja trotzdem. Und ich bin natürlich überhaupt nicht geduldig, von Natur aus schon nicht. Seit ich verunglückt bin, ist das Wort Geduld mein Hasswort. Das musste ich erst wieder lernen, wie das funktioniert. Ich habe ein aktives, erfülltes Leben, ich komme überall hin, insofern kann ich auch gern noch mal ein paar Jahre warten, bis die Forschung so weit ist.

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Tauschen Sie sich mit anderen Sportlern aus, die nun auch im Rollstuhl sitzen? Der ehemalige Freestyle-Mountainbiker Tarek Rasouli hat einmal mit leuchtenden Augen von seinen ersten Schritten nach sehr vielen Jahren erzählt, mit Hilfe eines sogenannten Exoskeletts.
Für mich ist das Exoskelett nichts, weil das kein freies Gehen ist. Das ist für mich eher so, dass Fußgänger sagen: ‚Da können die Rollstuhlfahrer mal stehen, super.' Es ist sehr schwierig, allein in diese Maschine reinzukommen, und dann stehe ich halt - ja mei. Richtig spazieren gehen kann ich trotzdem nicht. Das hat nix mit Gehen in Freiheit zu tun. Aber das ist ja total individuell.

"Passt ganz gut für mich": Vogel ist Trainerin bei der Bundespolizei

Sie sind viel unterwegs: Veranstaltungen, Sponsorentermine, für das ZDF haben Sie von Olympia in Tokio berichtet, zig Sportler interviewt unter dem schönen Titel "Vogel-Perspektive". Das macht bestimmt Freude, ist aber sicher auch hart, weil man womöglich denkt: ‚Eigentlich würde ich da jetzt auf dem Rad sitzen'. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe damit abgeschlossen. Ich habe in meinem Leben viel erreicht, mehr als viele Leistungssportler, und dafür bin ich unheimlich dankbar und sehr stolz darauf. Von daher ist es schön für mich, da an der Seite zu stehen. Ich bin seit vergangenen Oktober ja auch Trainerin in der Sportfördergruppe der Bundespolizei, bin also immer noch am Renngeschehen dran und kann meine Expertise an die Athleten weitergeben. Das passt ganz gut für mich.

2019 haben Sie sich als Parteilose für die CDU in den Erfurter Stadtrat wählen lassen. Wie ist es so in der Politik?
Als Athletin saß ich ja schon beim Radsportweltverband in der Athletenkommission, von daher war ich sportpolitische Arbeit schon ein bisschen gewöhnt. Dann kam die allgemeine Politik dazu - und da habe ich auch Geduld gelernt. Als Leistungssportler war ich gewohnt, dass Entscheidungen superschnell fallen. Zeit ist Geld, Zeit haben wir nicht, Geld auch nicht. Das ging immer ruckizucki. Und dann kommst du so in den Stadtrat, denkst‚ meine Wahrnehmung ist die einzig richtige. Lass uns das sofort entscheiden!' Aber dann kommt noch eine andere Meinung, und man denkt ‚Ah, gar nicht so schlecht das mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten'. Man lernt, dass politische Entscheidungen auch gut sind, wenn sie länger dauern, als man das gewollt hätte. Man versteht, warum es so lange dauert, wie es dauert. Ich habe da ein bisschen Diplomatiefähigkeit für zuhause gelernt.

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Vogel sitzt im Sicherheits- und Sozialausschuss der Stadt Erfurt

Was sind aktuell Ihre Themenfelder im Stadtrat?
Ich sitze im Sicherheits- und Sozialausschuss.

Nicht im Sportausschuss?
Der wurde der Wirtschaft zugeschlagen, und da gibts viele, die sich mit Wirtschaft besser auskennen. Aber wenn es irgendwo um Sport geht, werde ich schon auch gefragt.

Stimmt eigentlich die Schote, dass Sie sich als Zehnjährige per Münzwurf zwischen Radsport und Tanzen entschieden haben?
Die stimmt. Ich war damals im Freizeit-Jugendtreff Tänzerin. Aber ob daraus jemals eine Tanz-Karriere geworden wäre? Vermutlich nicht.

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