Kontrollierte Offensive
Fieberbrunn - „Ein Nordhang. Da ist nie Sonne drin. Sicher jede Menge versteckter Steine. Und weiter unten wird’s bestimmt auch nicht einfach.” Sebastian Hannemann sitzt zwar noch zu Hause in Augsburg, hat aber den Wettkampf-Hang in Fieberbrunn schon vor Augen. Dabei kommt er gerade erst aus dem dicksten Pulverschnee: von den Bergen nahe Sotschi. „Einen Meter hat’s da an einem Tag hingehauen”, erzählt er, „aber sonst gibt’s da nur noch Baustellen und Polizisten, die jede einzelne Stütze der Gondel mit Maschinengewehren bewachen. Ganz schöner Kontrast zum Rennen davor in Amerika.” Hannemann kommt rum in der Welt – dank seines Könnens auf Skiern. Der 24-Jährige gehört zu den weltbesten Freeridern.
Immer öfter sieht man diese Bilder: Skifahrer, klein wie Ameisen. inmitten eines gewaltigen Bergstocks, die zwischen all den Felsen irgendwie eine Linie finden, sich Hänge hinabstürzen, aus gewaltigen Pulverschneefontänen auftauchen und in Hochgeschwindigkeitsschwüngen gen Tal zischen. Aus nächster Nähe kann man sich diese Burschen am Wochenende im Pillerseetal unweit von Kitzbühel anschauen. Beim „Swatch Big Mountain Fieberbrunn presented by Nissan” wird sich in der Freeride World Tour entscheiden, wer sich für das Saisonfinale in Verbier qualifiziert. Hannemann, neben dem Chiemgauer Neuling Tom Leitner der einzige Deutsche im Teilnehmerfeld, liegt in der Gesamtwertung auf Platz elf und hofft, dass er in der Schweiz wieder dabei ist. Im Vorjahr, seiner ersten Saison auf der Tour, war er hervorragender Zehnter geworden.
Fieberbrunn ist der fünfte Stopp nach Sotschi, Chamonix, St. Moritz und Kirkwood (USA). Hannemann sagt: „Ich hatte zwei gute und zwei nicht so gute Wettkämpfe, zuletzt aber fünf Läufe ohne Crash.” Crash bedeutet Sturz bedeutet Punktabzug. Trotz der wahnwitzigen Ritte durch die Felslandschaften weiß Hannemann, dass es nicht nur auf Spektakel ankommt, sondern auch darauf, dieses sturzfrei zu präsentieren. Sagte er im letzten Jahr noch: „Ich fahre nicht brav runter, ich fahre immer spektakulär”, so klingt das nun anders: „Ich habe viel gelernt und mittlerweile ein gutes Händchen für meine Lines.” Will sagen: Er kontrolliert sein Risiko besser.
Und Hannemann fährt mit viel Risiko. Seine Spezialität: der Rückwärtssalto, Backflip in der Fachsprache. Erstmals probiert aus Übermut, bei den „Haus-Meisterschaften" des Ski-Internats, wo er noch als Alpinläufer war. Der Salto misslang, Hannemann landete auf dem Kopf, die Hüfte wurde demoliert, er flog aus dem Kader, hatte keine Lust mehr auf die Stangenfahrerei – und wurde Freerider. Hannemann, der Mann mit der Winnetou-Mähne, sagt: „Ich hab’ angefangen, ein bisschen Blödsinn zu machen." Auf Skiern.
Heute ist er mit dem Blödsinn gut im Geschäft. Das Lehramts-Studium (Sport und Mathe) muss warten, Skifahren geht gerade vor. Vor allem dieser Nordhang da in Fieberbrunn.
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