Koba, Karl und der King: Die Favoriten der Vierschanzentournee im AZ-Check
Okay, über die Rolle des Tournee-Favoriten können die Schusters aus Hirschegg eine Menge erzählen, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung. Werner Schuster, jahrelang Bundestrainer der DSV-Adler, nahm als Aktiver nur einmal an der Vierschanzentournee teil: 1992/93.
Packt Karl Geiger den Tourneesieg?
Christof Dufner gewann in Oberstdorf, Noriaki Kasai in Garmisch, Andreas Goldberger die Gesamtwertung, Schuster landete auf Platz 55. Auch Vater Willy kam 1966/67 über Rang 22 nicht hinaus. Einig dürften sich Vater und Sohn jedoch sein, dass da jetzt ein Bursche aus dem von Hirschegg im Kleinwalsertal nur 13 Kilometer entfernten Oberstdorf ist, der den Tourneesieg packen könnte: Karl Geiger.
"Die Stabilität der letzten Jahre und die Form weisen eindeutig daraufhin, dass er eine super Tournee springen kann", sagte Werner Schuster in seiner Rolle als Eurosport-Experte. Mit seinen 28 Jahren sei Geiger zudem "in der Blütezeit seines Skispringer-, aber auch seines persönlichen Lebens", so Schuster. Was eben jene Reife ausmachen kann, bewies Geiger im letzten Winter - eben in Oberstdorf.
Bei der Tournee gewann er den Auftakt und wurde am Ende Zweiter hinter Kamil Stoch, bei der WM wenige Wochen später holte er vier Medaillen bei vier Starts, darunter zwei goldene. "Er kann mit mentalen Ausnahmesituationen umgehen", sagt Schuster. Die AZ stellt die Favoriten vor.
Für Geiger geht es um den ersten deutschen Gesamtsieg seit Hannawald
Karl Geiger (28/Oberstdorf): Platz drei vor zwei Jahren, Platz zwei vor einem Jahr - selbst mit allerkleinsten mathematischen Fähigkeiten ist die logische Steigerung klar: Für Geiger geht es um den ersten deutschen Tournee-Gesamtsieg seit Sven Hannawald 2001/02. Er ist längst zu einem kompletten Springer geworden, "Karle" besticht durch seine unerschütterliche Ruhe. Zweimal in Folge schenkte der Doppel-Weltmeister aber in Innsbruck den Tourneesieg weg, 2020 mit Platz acht, 2021 mit Rang 16.
Eisenbichler sucht Bestform (zu) krampfhaft
Markus Eisenbichler (30/Siegsdorf): In Bestform ist "Eisei" der spektakulärste Flieger im Weltcup - nur sucht er diese zurzeit (zu) krampfhaft. Der sechsmalige Weltmeister reiste in den vergangenen beiden Jahren als Mitfavorit zur Tournee und erlebte viel Frust. 2019/20 kam er in keinem Springen in die Top 10, 2020/21 nur einmal in die Top 5. Diesmal waren die Vorleistungen ernüchternd, abschreiben darf man Eisenbichler aber nicht: Wenn er explodiert, dann richtig!
Warum ist Kobayashi der Topfavorit?
Ryoyu Kobayashi (25/Japan): Der japanische Edelflieger ist eigentlich der wahre Weltcup-Primus: 496 Punkte holte er aus sechs Springen, zweimal fehlte Kobayashi (drei Saisonsiege) wegen einer Corona-Infektion, einmal wegen einer Disqualifikation - macht einen Punkteschnitt von 82,6. Konkurrent Geiger (zwei Siege) kam bei neun Starts auf 594 Zähler (66,0). Weil "Koba" fast wieder in der Sahneform seines Tournee-"Grand Slams" von 2018/19 agiert, ist er der Topfavorit.
Eine Corona-Infektion legte Stefan Kraft lange lahm
Stefan Kraft (28/Österreich): Zwischen 2009 und 2015 ging der Tourneesieg sieben Mal in Folge nach Österreich. Seit Krafts Triumph am Ende dieser goldenen Ära warten die Austria-Adler allerdings auf einen Erfolg - und hoffen wieder auf den Routinier. Weltmeister Kraft plagen aber regelmäßig Rückenschmerzen, eine Corona-Infektion im Vorwinter legte ihn lange lahm. Punktuell ist er immer noch ein Siegspringer, wie er als Gewinner von Klingenthal zeigte. Über acht Wettkampfsprünge hingegen dieses Niveau zu halten, wird sein Problem werden.
Leistungsschwankungen bei Halvor Egner Granerud
Halvor Egner Granerud (25/Norwegen): Im Vorwinter dominierte Granerud, bis dahin ohne Karrieresieg, den Weltcup fast nach Belieben, gewann die fünf Springen vor der Tournee - blieb dort aber sieglos. Ein Jahr später hat der Norweger dicke Fehler im System, die zu immensen Schwankungen führen: In neun Springen landete er sechsmal unter den besten sieben, wurde einmal 48. und scheiterte zweimal gar in der Qualifikation. Von Granerud ist bei dieser Tournee alles zu erwarten - oder eben nichts.
Marius Lindvik (23/Norwegen): Vor zwei Jahren reichten Lindvik zwei Tagessiege nicht zum Gesamterfolg, im Vorjahr landete er nach Platz drei in Oberstdorf mit einem entzündeten Zahn im Krankenhaus - ein Glückskind war der Norweger bei der Tournee bislang nicht. Ein Lindvik in Bestform liegt zwar hinter einem Granerud in Bestform zurück, allerdings erreicht er diese sehr viel konstanter ...
"König Kamil" ist längst eine Legende
Kamil Stoch (34/Polen): "König Kamil" ist längst eine Legende, hat bis auf diesen vermaledeiten WM-Titel im Skifliegen alles mindestens einmal gewonnen. Tournee-Titelverteidiger Stoch ist in einem desaströsen polnischen Team derzeit die einzige halbwegs verlässliche Größe, auf einen vierten "Four Hills"-Titel deutet dennoch bei ihm wenig hin. Aber wenn der Flug von (nahe) 0 auf 100 jemandem zuzutrauen ist, dann eben Stoch.
Anze Lanisek (25/Slowenien): Lanisek stand bislang im Schatten der drei Gebrüder Prevc, doch weil vor allem der große Peter und der kleine Domen im Leistungsloch stecken, springt auf einmal der Schattenmann ins Rampenlicht. Im Februar WM-Dritter auf der Normalschanze, Ende November in Ruka erstmals Sieger im Weltcup - für Sloweniens neue Nummer eins geht es beständig aufwärts.
Killian Peier auf der Zielgeraden seiner Karriere
Killian Peier (26/Schweiz): Der unverwüstliche Simon Ammann biegt mit 40 Jahren auf die Zielgerade seiner Karriere ein, da kommt es den Schweizern sehr gelegen, dass "Simis" designierter Nachfolger schneller als erwartet wieder auf höchstem Niveau springt.
Peier, 2019 hinter Eisenbichler und Geiger WM-Dritter, hatte sich vor einem Jahr mit Corona und Kreuzbandriss in den Krankenstand verabschiedet - bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg belegte er wieder zweimal Platz vier.
Jan Hörl (23/Österreich): In der Breite ist das Potenzial der Skisprung-Nation Österreich beeindruckend, in der Spitze indes sehr überschaubar. Das unterstreicht folgender Fakt: Als Hörl Anfang Dezember in Wisla gewann, feierte erstmals seit fast sieben Jahren wieder ein ÖSV-Adler seinen ersten Weltcupsieg - zuvor war dies Michael Hayböck im Januar 2015 gelungen. Auch wenn von Hörl noch keine Wunderdinge zu erwarten sind: Landsmann Stefan Kraft, der die 17 österreichischen Siege zuvor geholt hat, ist zumindest kein Alleinunterhalter mehr.