Klitschkos Abrechnung

Nächsten Samstag boxt der Champion gegen Chagaev – weil Haye, der vorgesehene Gegner, abgesagt hat. Schade. Dem hätte der Weltmeister gern „ein Pizzagesicht mit viel Ketchup“ verpasst.
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Bereit für den Megafight vor 60000 Fans auf Schalke: Weltmeister Wladimir Klitschko, der gegen Ruslan Chagaev antritt.
dpa Bereit für den Megafight vor 60000 Fans auf Schalke: Weltmeister Wladimir Klitschko, der gegen Ruslan Chagaev antritt.

Nächsten Samstag boxt der Champion gegen Chagaev – weil Haye, der vorgesehene Gegner, abgesagt hat. Schade. Dem hätte der Weltmeister gern „ein Pizzagesicht mit viel Ketchup“ verpasst.

AZ: Herr Klitschko, haben Sie schon ein Dankesschreiben an Ruslan Chagaev verfasst, dass er so kurzfristig für den verletzten David Haye eingesprungen ist und damit den Kampfabend am 20. Juni vor 60000 Fans in der Arena auf Schalke gerettet hat?

WLADIMIR KLITSCHKO: (lacht) Vielleicht sollte ich das wirklich machen, verdient hat er es sich. Ich muss Ruslan wirklich allen Respekt der Welt bekunden. Natürlich ist das auch seine große Chance, aber das wäre es auch für andere gewesen. Als die Absage von Haye kam, haben wir sofort Chagaev und Nikolai Walujew kontaktiert, ob sie den Kampf machen wollen. Walujew hat sofort, ohne zu zögern, abgesagt. Chagaev hat sofort, ohne zu zögern, zugesagt. Das sagt schon alles über Chagaev. Er ist Krieger im Ring, der keine Angst kennt. Sportlich ist das die viel größere Herausforderung als Haye.

Was unterscheidet in Ihren Augen Chagaev und Haye?

Um es in einem Satz zu sagen: Chagaev hat ein enormes Kämpferherz, Haye eine enorme Klappe. Ansonsten sind die beiden wie Tag und Nacht. Ruslan ist ein feiner, zurückhaltender, respektvoller Mensch. Ein Mann, der Taten sprechen lässt. Haye ist der Gegenentwurf.

Der Walujew-Kampf platzte wegen Chagaevs Hepatitis-B-Erkrankung. Haben Sie keine Angst vor einer Infektion?

Nein, ich bin im Tropeninstitut in Hamburg dagegen geimpft worden. Die Ärzte haben versichert, dass kein Ansteckungsrisiko besteht.

Sie setzen Ihre drei Titel aufs Spiel, die WBA erkennt aber nach dem geplatzten Walujew-Kampf Chagaev wohl nicht mehr als Champion ein.

Das wäre lächerlich. Chagaev hat Walujew 2007 geschlagen, und solange er nicht gegen ihn verliert, kann der für mich nicht Weltmeister sein. Dass Walujew zum Champion gemacht wird, kann eigentlich nur aufgrund der Intervention von Don King passiert sein, der Promotion-Rechte an Walujew hat. Aber bald wird man auch über King nicht mehr reden, seine Zeit läuft ab.

Haye hatte sich den Fight gegen Sie mit diversen Provokationen erkämpft, etwa mit dem Bild auf seinem T-Shirt, auf dem er die abgeschlagenen Köpfe von Ihnen und Ihrem Bruder Vitali hochhält. Wie war Ihre Reaktion, als er den Fight plötzlich platzen ließ.

Mir ist wirklich die Kinnlade auf den Boden gekracht! Ich konnte es nicht glauben. Ich fühlte mich betrogen, denn ich wollte ihn unbedingt im Ring bestrafen, sein Antlitz in ein Pizzagesicht verwandeln. Mit sehr viel Ketchup drauf. Aber wie man sieht, aus allem Übel entsteht Besseres. Aus einem Haufen Mist erwächst eine wunderschöne Blume. Der Fight jetzt ist noch besser als der Kampf gegen Haye. Haye ist absolut unreif. Als Mensch und als Kämpfer. Als Mensch: Das hat er selber gezeigt. Als Kämpfer: Das hätte ich gerne aufgedeckt.

Wird es zu dem Haye-Kampf später kommen?

Was mich betrifft: Er interessiert mich nicht mehr. Er und seine Leute sind das Unprofessionellste, was ich im Boxen je erlebt habe. Er war noch nicht mal in der Lage, uns einen medizinischen Befund vorzulegen. Erst heißt es, er kann am 11. Juli wieder boxen, dann heißt es, am 25. Juli, dann plötzlich im August. Was mich angeht, kann sich Herr Haye brav hinten in der Reihe anstellen. Es ist nicht so, dass ich mit ihm als Mensch viel zu tun haben will. Und als Boxer muss er sich jetzt beweisen.

Er hat vorsorglich Ihren Bruder Vitali herausgefordert!

Also bitte! Ich kann Haye nur einen guten Rat geben: Seinen großen Mund zu halten. Er hat mit allen Mitteln versucht, uns zu provozieren und dann hat er nichts eingehalten, was er versprochen hat. Er sagte, er würde uns das Chelsea-Stadion in London klar machen. Nichts! Er hat Dinge gemacht, die unter jeder Gürtellinie waren. Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf. Nirgendwo, auch nicht im Boxen. Außerdem, wenn er darüber nachdenkt, wird er, glaube ich, nicht gegen Vitali antreten wollen. Ich habe meinen Bruder selten so wütend gesehen wie nach der Fotomontage, als Haye meinen abgeschlagenen Kopf hochhielt. Vitali hätte ihn am liebsten gleich verprügelt. Gut durchgeschüttelt hat er ihn schon.

Sie sprechen Grenzen an. Wo ist für Sie die Grenze zwischen normalem Ballyhoo, das den Kampf promotet und inakzeptablen Tabubrüchen?

Dass ein Gegner sagt, er wird mich verprügeln, mich ausknocken, das gehört dazu. Man hat mir schon gesagt, dass ich im Ring meine Beerdigung erleben würde, dass man mein zertrümmertes Glaskinn per Post verschicken würde. Das ist grenzwertig, aber okay. Aber dort, wo es um die Familie geht, ist jede Grenze überschritten. Den blutüberströmten Leichnam des Bruders zu zeigen und den abgeschlagenen Kopf in der Hand, ist schändlich. Was greift er als nächstes an? Meine Rasse? Meine Religion? Ich denke, er sollte besser darüber nachdenken, was er tut. Er sollte verstehen, dass Worte mehr verletzen als jeder Schlag es kann. Was er getan hat, kann er auch nicht ungeschehen machen, dafür ist es zu spät. Ich hätte ihm nur die gerne die Möglichkeit gegeben, sich nach dem Fight zu entschuldigen. Aber ob er das jetzt tut, ist seine Sache. Er muss mit sich leben, nicht ich.

Ihr Trainer Emanuel Steward sagte, er mag den „Bullshit", den Haye so verzapft, er würde ihn an den jungen Cassius Clay erinnern.

Es passiert nicht oft, dass ich Emanuel widersprechen muss. Aber ich denke, jeglicher Vergleich in dieser Richtung verbietet sich. Das wäre so, als würde man einen Elefanten mit einer Maus vergleichen. Ali steht nicht nur für großartigstes Boxen, er steht für den Kampf für Menschenrechte, für die Schwarzenbewegung, die Antikriegsbewegung, er steht für Völkerverständigung, Zivilcourage Er hat es geschafft, dass Saddam Hussein Geiseln im Irak freiließ. Für all das steht Ali. Und wofür steht David Haye? Für eine große Klappe und schlechte Manieren.

Diese Klappe schreckt auch nicht vor den Größen des Boxsports zurück, mit denen er sich in einer Reihe wähnte.

Er sagte, er würde für all die großartigen Champions kämpfen, die eben physisch nicht so groß gewesen wären. Joe Louis, Jack Dempsey, Joe Frazier, Rocky Marciano oder Muhammad Ali, er wollte ihre Ehre retten, indem er, der eigentlich ein Cruisergewichtler ist, mich schlägt. Er soll diese Legenden in Ruhe lassen, denn genau das sind sie: Legenden. Sie brauchen niemanden, der ihre Ehre rettet, ihre Ehre ist unantastbar. Haye soll einfach nur still sein. Und ich will auch kein Wort mehr über ihn verlieren.

Interview: Matthias Kerber

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