Klammer über die Streif: "Man fährt ins Nichts!"

Am Wochenende geht es auf die legendäre Streif. Viermal hat Franz Klammer die Abfahrt gewonnen – so oft wie kein anderer. Im AZ-Interview spricht er über den Mythos.
Thomas Becker |
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Nur ein anderer konnte bei der Hahnenkammabfahrt ebenfalls vier Siege feiern. Frant Klammer, der König von Kitz, siegte vier Mal auf der Streif. 1975, 1976, 1977, 1984 stand er ganz oben auf dem Siegerpodest.
Rauchensteiner | Augenklick Nur ein anderer konnte bei der Hahnenkammabfahrt ebenfalls vier Siege feiern. Frant Klammer, der König von Kitz, siegte vier Mal auf der Streif. 1975, 1976, 1977, 1984 stand er ganz oben auf dem Siegerpodest.

AZ: Herr Klammer, wie war Ihr erstes Mal auf der Streif?

FRANZ KLAMMER: Ich hab’ mir fast in die Hosen gemacht! 1973 war das, da war ich 19. Ich bin als Jugendlicher oft dran vorbei gefahren, hab’ hoch zum Hahnenkamm geschaut und gedacht: ‚Da will ich unbedingt mal runterfahren!‘ Aber als ich zum ersten Mal oben stand, war ich mir nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee ist. Ich habe nicht geglaubt, dass man das fahren kann. Und die Wahnsinnigen haben vom Start weg noch angeschoben! Aber dann hab’ ich gesehen, dass die alle runter kommen, und ein paar von denen hatte ich zuvor in anderen Rennen schon geschlagen, also wollte ich das auch hinkriegen. Ich habe mich sofort wohlgefühlt auf der Piste, wurde gleich im ersten Rennen Vierter. Danach habe ich mich in Kitzbühel immer sehr leicht getan.

Ihre Lieblingspiste?

Ja. Weil es die größte Herausforderung ist. Du brauchst alles: Du musst springen können, gleiten können, enge und langgezogene Kurven fahren können. Und du musst viel Mut haben.

Und wie bringt man den auf? Wie überwindet man sich?

Angst ist dazu da, dass man sie überwindet. Wichtig ist zu wissen, dass du das technisch bewältigen kannst. Wenn du weißt, dass du den Berg bezwingen kannst, fährst du mit Selbstvertrauen oben weg. Nicht zaghaft, sondern sehr bestimmt und energisch. Das ist das Geheimnis in Kitzbühel. Ich hab’ mich immer drauf Freude: ‚Gottseidank geht’s los! Ich weiß genau, was sein wird, und ich bestimme, was ich machen werde.‘

Braucht es auf der Streif eine spezielle Taktik?

Immer attackieren! Nur runterfahren ist schon gefährlich. Immer pushen, dann ist man am sichersten unterwegs.

Wie sah Ihre Ausrüstung aus?

Schon mit Helm. Ich bin sogar schon im Farbfernsehen gefahren. Protektoren gab’s aber noch nicht. Und die Skischuhe waren halt rechte Potschn: weich wie Pantoffel, am Anfang noch mit Ledergamaschen. Die Anfänge des modernen Skilaufs. Mit meinem alten Material würde ich da heute nicht mehr runter fahren. Wie wurde damals präpariert? Die steilen Passagen und die engen Kurven wurden von Bundesheersoldaten mit den Schuhen getreten und danach mit dem Wasserschlauch vereist. So gab es dann Passagen mit griffigem Schnee, am Kurvenansatz blankes Eis und danach wieder griffige Piste, wechselnde Verhältnisse von oben bis unten, mit vielen Löchern drin. Heute wird alles mit dem Balken präpariert: sehr konstantes Eis.

Tauscht man sich vor dem Rennen mit den Konkurrenten aus oder macht jeder sein Ding?

Man fragt schon rum. Das fängt schon am Start bei der Mausefalle an: Wie komme ich da drüber? Was muss ich machen, wie wegspringen, damit ich die Richtung zur nächsten Kurve habe? Irgendwann weiß man aus Erfahrung, dass die Ausfahrt Steilhang die Schlüsselstelle ist. Wenn ich die nicht richtig erwische und den Speed nicht mitnehmen kann, dann kann ich schon aufhören. Das gilt auch für die Hausbergkante: Wenn du da zum ersten Mal drauf zufährst, denkst du dir: ’Puh, wie wird das wohl gehen? Wie weit werde ich springen?’ Man sieht ja nichts, fährt einfach ins Nichts.

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Wer Streif hört, denkt zuerst an die Stürze. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Dreimal hat’s mich geschmissen. Bei meinem letzten Rennen ist mir der Ski aufgegangen, gleich oben vor der Mausefalle. In der Rechts-Kurve war ein Schlag drin – und bumm – war mein Ski weg. Ein anderes Mal ist mir bei der Landung in der Mausefalle der Ski aufgegangen und ich bin in die Strohballen rein gerutscht. Und als ich so da lieg’, kommt schon der Nächste! Damals startete man im 30-Sekunden- Abstand. Der Kanadier Ken Read stürzt in der Mausefalle und fliegt auf mich zu – irgendwie über mich und die Strohballen drüber, rein in den Tiefschnee. Ich steh’ auf und sag’ zu ihm: ‚Was machst du denn hier? Das ist mein Platz! Ich war zuerst da!’

Also keine schlimmen Verletzungen?

Einmal hab’ ich mir bei einem Trainingssturz mit den scharfen Skikanten einen Cut überm Skischuhrand geholt. Ich denk’ mir noch: ‚Was ist da los? Es ist so warm im Schuh...’ Dabei war der Schuh voller Blut. Aber das Rennen am nächsten Tag hab’ ich trotzdem gewonnen. Ich musste gewinnen. Weil ich so viele Rennen in Folge gewonnen hatte und noch ein Sieg zum Rekord fehlte.

Sind Sie beim Rennen immer noch vor Ort?

Ich schaue mir das an, klar. Kitzbühel ist für den Skisport schon sehr wichtig. Das ist das einzige Rennen, bei dem nicht nur Sportler zuschauen. Das interessiert alle, wenn sich die wilden Hunde da runterhauen.

Und wie waren die Partys?

Playboy-Bunnys haben wir nie dabei gehabt. Warum eigentlich? Nein, das Schöne war, dass wir immer gemeinsam gefeiert haben, immer in der gleichen Bar gelandet sind, meistens mit den Amerikanern im ‚Londoner’. Gerade in Kitzbühel wurde intensiv gefeiert, denn wenn man die Streif überstanden hat, muss man das auch entsprechend feiern. Aber wir Fahrer hatten damals noch nicht so viele Verpflichtungen gegenüber Sponsoren. Wir konnten noch so richtig auf den Putz hauen.

Klammer ist einer der Protagonisten der beeindruckenden Dokumentation "Streif - one hell of a ride", die zur Zeit in den Kinos läuft. Sehr empfehlenswert!

<strong>Doku über Rennpiste: "Streif - One Hell of a Ride"</strong>

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