Jung, schnell und ein bisserl chaotisch

Der erste deutsche Olympiasieger von Vancouver ist gebürtiger Thüringer – und ein waschechter Bayer vom Königssee. Auch beim Weißbier-Trinken hängt er die Konkurrenz ab
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Florian Kinast
Mike Schmalz Florian Kinast

Der erste deutsche Olympiasieger von Vancouver ist gebürtiger Thüringer – und ein waschechter Bayer vom Königssee. Auch beim Weißbier-Trinken hängt er die Konkurrenz ab

Schneller war auch am Abend keiner, im Nebenraum des Deutschen Hauses. David Möller mühte sich nach Leibeskräften, doch wie sehr er sich auch anstrengen mochte, am Ende war er chancenlos. Auch wenn sie zeitgleich angefangen hatten, Felix Loch hatte sein erstes Weißbier lange vor Möller geleert. Ein Erfolg mit deutlichem Abstand. So wie am Nachmittag im Eiskanal, so am Abend im Kufenstüberl. Dann langte Loch am Büffet hin, lud sich zwei Schnitzel auf den Teller und dazu einen großen Kartoffelsalat. „Jetzt will ich einfach nur noch feiern“, sagte der 20-Jährige, „ich brauch was auf die Gabel. Ich hatte heute nur eine Banane.“ Und einen Olympiasieg, den hatte er an diesem Tag auch.

Als erster deutscher Sportler hatte Loch wenige Stunden zuvor bei den Winterspielen von Vancouver Gold gewonnen. Ein junger Mann vom Königssee, der mit 20 Jahren nicht nur schon zweimaliger Weltmeister ist, sondern nun auch Olympiasieger. Zum ersten Mal. Und wenn er so weiterrodelt, vermutlich nicht zum letzten Mal. Ein bemerkenswerter Triumph des gebürtigen Thüringers. Des waschechten Bayern.

In Sonneberg kam Felix Loch auf die Welt, im Juli 1989, kurz danach fiel die Mauer. Papa Norbert und Mama Heike, selbst ehemalige DDR-Rodler, gingen bald darauf nach Berchtesgaden, der Vater hatte ein Angebot als bayerischer Landestrainer am Königssee. Und so kam Felix in Windeln in den Westen.

„Als ich dann gehen konnte, habe ich den Papa oft begleitet“, erzählte Felix Loch am Sonntagabend, „immer wieder stand ich an der Bahn und habe gesagt: Da möchte ich auch mal runter fahren.“ Und irgendwann gab der Vater nach.

Dabei war der Vater keiner, der mit krankhaftem Überehrgeiz seinen Buben drillte für eine erfolgreiche Sport-Karriere. Norbert Loch ließ es geschehen. Er half dem Buben, wann immer er konnte, aber später dann, als er schon Bundestrainer war, behandelte er ihn wie jeden anderen Rodler im Team. „Damit es da keine Probleme in der Mannschaft gibt, hat mein Vater gleich am Anfang eine Ansprache an die Mannschaft gehalten“, sagte Felix Loch. „Damit klar ist, dass ich nicht bevorzugt werde. Er hat auch kein Problem damit, mich zu rüffeln.“

Und Norbert Loch hatte auch kein Problem damit, der Siegesfeier seines Sohnes fern zu bleiben. Während der Sohn im warmen Kufenstüberl saß, fror sich der Vater am Eiskanal die Beine in den Bauch. Es war der zweite Trainingslauf der Doppelsitzer. Einem pflichtbewussten Mann wie Norbert Loch war das wichtiger als mit seinem Sohn Olympia-Gold zu feiern.

Auch die Mama war nicht da. Heike Loch, deren Ehe mit Norbert Loch vor vielen Jahren zerbrach, die inzwischen in Bischofswiesen lebt. Nach der Trennung hatte sich Felix Loch entschieden, beim Papa in Schönau am Königssee zu bleiben und dessen zweiter Frau Maria. Eine gebürtige Berchtesgadenerin, Schullehrerin. Eine Frau, die katholisch erzogen wurde, so wie die meisten Menschen dort. Und inzwischen ist ja auch Felix Loch katholisch. Auch wenn das lange gedauert hat.

Die Eltern hatten ihn nach der Geburt nämlich nicht taufen lassen. „Sie wollten mir die Entscheidung überlassen“, sagte er. Und Loch entschied sich. „In der dritten und vierten Klasse hatten wir einen sehr netten Pfarrer als Religionslehrer“, erzählte er, „und die ganze Tradition, Kommunion und Firmung, das hat mich einfach stark beeinflusst.“ Darum ließ er sich dann nachträglich taufen, vor zwei Jahren. Als er 18 war, am 70. Geburtstag seiner Oma. „Das gab eine schöne Feier“, sagte er.

Das Feiern liegt ihm eh. Nicht nur nach seinen beiden WM-Titeln 2008 und 2009, sondern auch zuhause, am liebsten mit seinen besten Kumpeln Tobias Arlt und Tobias Wendl, den Vizeweltmeistern im Doppelsitzer, die die Qualifikation für Vancouver verpasst hatten und den Triumph Lochs tief in der Nacht am heimischen Fernseher verfolgten.

„Der Felix ist einer der jungen Wilden“, sagen sie beim Rodelverband, „wenn du ins Starthaus gehst, dann siehst du sofort, wo der David Möller sein Zeug hingelegt hat und wo der Felix.“ Bei Möller, dem Olympia-Zweiten, ist nämlich alles immer höchst penibel aufgestapelt. Bei Loch herrscht das Chaos.

Im Kopf dagegen ist er völlig klar. Die Tragödie mit dem Tod des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwili zwei Tage vor seinem Olympiasieg schockierte auch ihn. Und doch schaffte er es, das Geschehene auszublenden. „Ich weiß selber nicht so genau, warum mir das so gelingt“, sagte er, als er nach dem Geheimnis seiner mentalen Stärke gefragt wurde. „Aber es funktioniert einfach. Wenn das so weitergeht, dann freue ich mich auf die nächsten Jahre. Das macht einfach nur Spaß.“ Ihm schon. Der Konkurrenz eher weniger.

Experten wie der Berchtesgadener Wolfgang Staudinger, der Trainer der kanadischen Rodler, sagen ihm bereits eine große Karriere voraus. Eine Laufbahn, die erfolgreicher sein könnte als die von Georg Hackl, dem dreimaligen Olympiasieger. Hackl war nach Lochs Sieg in Tränen ausgebrochen (siehe Sport Seite 19), übermannt von seinen Emotionen, nach den bewegenden Tagen mit dem Tod des Georgiers Kumaritaschwili und dann mit dem Triumph seines Ziehsohns Felix. Den er Freund nennt, dessen Familie er im Sommer im Garten besucht, zum Grillen an warmen Sommerabenden.

Einheizen wird Felix Loch seinen Gegnern also noch lange. „Ich denke noch nicht an ein Karriereende“, schmunzelte er, und nachdem er dem Hacklschorsch noch dankte, seinem großen Vorbild, der ihm beim Schlittenbauen so viel hilft, meinte er noch: „Die Memoiren werden noch etwas warten müssen.“ Bei Felix Loch werden noch viele Kapitel folgen.

Am Sonntagabend folgten erst einmal noch viele Weißbier.

Florian Kinast

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