Jodeln für Olympia
Eine Volksmusik-Legende, ein Holzschnitzer, die Rosi und drei wackere Protestler mit Postkarten: Garmisch-Partenkirchen präsentiert sich der IOC-Kommission in seiner folkloristischen Pracht.
GARMISCH-PARTENKIRCHEN Die Gondel ist voll, aber für Rosi Mittermaier ist immer Platz. Dick vermummt, mit Bommelmütze auf dem Kopf zwängt sie sich in die Bahn und warnt: „Vorsicht, ich hab’ Husten!” Eigentlich gehört sie ins Bett, aber für den Besuch der IOC-Evaluierungskommission und für die hinterher reisenden Journalisten hat sie sich aufgerafft. An Tag zwei auf dem Presse-Programm: Messe München, Gestüt Schwaiganger, Garmisch.
Das IOC ist den Reportern voraus, eine halbe Stunde etwa. Die Messe, wo 2018 das Pressezentrum sein könnte, werden die Olympier später besuchen, und in Garmisch nehmen die Reporter die Alpspitz-, die IOCler aber die Kreuzeckbahn, damit es bloß keinen Kontakt gibt. Am Gestüt Schwaiganger, wo Langlauf und Biathlon stattfinden könnten, verpasst man sich nur knapp. Auf dem Gestüt nahe Murnau treffen auch Olympia-Gegner und -Befürworter aufeinander – es ist ein ungleiches Duell.
Die Anti-Front besteht aus drei Mann mit postkartengroßen Zetteln. „Eben, als das IOC da war, waren wir noch viel mehr”, behauptet einer und zeigt nach rechts: „Jetzt könnt’s da drüben die Heinzelmännchen fotografieren.” Ein paar Meter weiter brandet Jubel auf, ein halbes Hundert blauweißer Fähnchen der Olympia-Bewerber wird geschwenkt, die Welle geht durch die Jubel-Menge – und dann gibt auch noch der 76-jährige Biwi Rehm, ungekrönter Werdenfelser Jodel-König und ehemals 2. Bürgermeister Garmisch-Partenkirchens, eine Kostprobe. Jodeln für Olympia! Da sehen die Gegner alt aus.
Bei aller Folkore gibt es auch besonnene Olympia-Freunde wie die Ex-Bob-Weltmeister Peter Utzschneider und Stefan Gaisreiter. Gerne erinnern sie sich. „Ich war fünf Mal bei Olympia", erzählt Gaisreiter, „hab’ 1972 in Sapporo Bronze gewonnen. Das war so völkerverbindend. München 2018 könnte die Stimmung der Fußball-WM 2006 noch toppen.”
Mitten auf den Wiesen des 2000 Hektar großen und 900 Jahre alten Gestüts mit seinen 350 Pferden, darunter so berühmte Vierbeiner wie „Asti Spumanti”, hat man einen Pavillon errichtet, um einen Überblick über die geplanten temporären Stadien und Loipen zu geben. Ex-Biathlon-Weltmeisterin Petra Behle schwärmt von den Möglichkeiten, die 17-jährige Biathletin Laura Dahlmeier aus Garmisch darf ihren Olympia-Traum träumen, und Eberhard Senkenberg hofft einfach mal. Er ist Landstallmeister, was man den ausländischen Journalisten kurzerhand als CEO übersetzt. Seit 17 Jahren leitet er das einst größte deutsche Gestüt, das zuletzt einige Nebenbetriebe abgeben musste. „Wir schreiben keine schwarzen Zahlen”, klagt er, „ständig muss gespart werden. So geht's nicht weiter.” Er fürchtet um den Erhalt dieses „lebenden Kulturgutes”, denn: „Wenn’s einmal weg ist, ist es weg.” Da wäre Olympia beim Überlebenskampf hilfreich.
Ein paar Kilometer weiter in Garmisch muss Rosi Mittermeier nicht viele Worte verlieren: Die Eindrücke von der Ski-WM sind noch frisch. Auf dem Mohrenplatz trifft die Kommission auch noch auf einen Holzschnitzer mit Gamsbart. Im Skistadion der Spiele von 1936 kommt es dann um 14.48 Uhr zum Äußersten: ein Termin mit den IOClern! Auge in Auge! Fragen sind nicht erlaubt, aber Fotos, immerhin. Bejubelt von einem halben hundert aufgekratzter Fähnchenwedler, die einem irgendwie bekannt vorkommen, steigen die Kommissionsmitglieder mit ihren grünen Jacken aus den Autos und posieren mit Thomas Bach, Christian Neureuther und Co. für die Fotografen. Riesen-Hallo, als Kati Witt die Truppe zum Lachen bringt und einfach zurück fotografiert. Die Kommission strahlt beglückt, steigt wieder in den Bus, und die Blaskapelle spielt dazu. Nur: Wo ist Biwi?