Jetpilot im Schraubstock

AZ-Reporter Julian Galinski rast mit Bob-Ass Susi Erdmann und Tempo 130 durcgh den Eiskanal.
Julian Galinski |
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Innsbruck - Susi Erdmann hält mir ihre Hand vor das Gesicht. Die Fingernägel sind akkurat geschnitten, die Haut sieht rosig und gesund aus. „Wie gut, dass ich meine Hände immer gepflegt habe“, sagt Erdmann. Schließlich habe ich ihr gerade offenbart, mein Schicksal in ebendiese zu legen. Mit ihren Fingern wird sie per Lenkseil den Viererbob steuern, mit dem wir gleich gemeinsam den Eiskanal von Igls hinabrasen werden.

Ich muss an einen Freizeitpark-Besuch denken, als ich vor einer zweisitzigen Metallkugel stand, die wie in einer Steinschleuder an zwei Masten in den Himmel geschossen wurde. Auf der Hinfahrt hatte ich noch geprahlt, wie locker ich das metallene Ungetüm bezwingen würde. Die Sprüche sind mir in dem Moment ausgegangen, als ich tatsächlich davor stand.

Recht ähnlich geht es mir auch an der Bobbahn von Igls. Ach was, in so einem Bob die Bahn hinunterrutschen, was ist schon dabei, denke ich mir – bis ich den ersten bei der Bahnbegehung an mir vorbeirauschen sehe. Das heißt, ich sehe ihn nicht wirklich, nur Schemen.

Susi Erdmann, die Weltmeisterin auf dem Rodel und im Bob, tut ihr Übriges, um die Anspannung zu schüren. „Als Fahrer hat man immer einen Wettkampf mit den anderen auf der Bahn. Wir werden ganz schön schnell unterwegs sein. Gut für Sie.“ Ach ja?

Erdmann (43) ist ein Geschwindigkeitsjunkie. „Ich habe schon zwei Mal den Führerschein abgeben müssen“, erzählt sie, „ich war aber auch oft bis zu 90<TH>000 Kilometer im Jahr unterwegs.“

Wir stehen vor dem Kreisel, einer 360-Grad-Schleife der Bahn. Wieder donnert ein Bob vorbei und ich frage mich, wie die Gesichter der Mitfahrer unter ihren Helmen wohl aussehen. „Solche Kurven sind etwas besonderes“, sagt Erdmann, „man sieht wenig. Das muss man schon fühlen.“ Bis zu 130 km/h sind die sogenannten Bob-Taxis schnell, entschärfte Versionen der noch schnelleren Wettkampf-Bobs. „150 ist aber dann grenzwertig“, sagt Susi Erdmann.

Bei der Sicherheitseinweisung am Starthäuschen merke ich, wie meine Hände und Knie zu zittern beginnen. „Ganz wichtig ist, dass Sie sich steif machen“, sagt der Einweiser, „Sie sollten alle Muskeln anspannen und den Kopf nicht bewegen.“

Ich quetsche meinen Kopf in einen Helm und den Rest meines Körpers vor Erdmanns Bremser und einem weiteren Mitfahrer in den Bob. Es gibt keine Polster oder andere Weichmacher, nur blankes Carbon und einen Griff pro Hand. Als Erdmann sich vor mir in die Pilotenschale setzt, klopfen meine Knie vor Anspannung an die Außenwand.
Der Bob rumpelt los. Aus Sicherheitsgründen gibt es keinen Start mit Anlauf und Hineinspringen. Die ersten hundert Meter geht es noch recht gemächlich dahin und das Gefährt liegt ruhig in der Bahn. Ich luge an Erdmanns Helm vorbei: Die erste Steilkurve. Der Bob hat mittlerweile Tempo aufgenommen, instinktiv kralle ich mich an den Metallgriffen fest. Dann packen die G-Kräfte zu: Mein Körper wird in den Bob gestaucht, mein Hals fühlt sich an, als wäre er vertikal in einen Schraubstock gespannt.

Erdmann stößt an einer Wand an. Mangelns jeglicher Art von Federung oder Dämpfung fährt jeder Schlag direkt in die Knochen. Die Fahrt fühlt sich mittlerweile an wie eine halsbrecherische Achterbahn, mit dem Unterschied, dass unser Fahrzeug nicht durch eine Schiene geführt ist, sondern über blankes Eis schlittert.

Wir haben die hundert Stundenkilometer erreicht. Im Kreisel wirken Kräfte wie auf einen Jetpiloten, drei bis vier G. Es folgt die anspruchsvollste Stelle der Bahn. Vor dem Labyrinth, einer Serie schneller Kurven, hatte Susi Erdmann vor der Fahrt noch gewarnt.

Bislang ist es mir zwar einigermaßen gelungen, meinen Kopf ruhig zu halten, jetzt schleudert er von einer Seite auf die andere wie ein Gummiball. Bei 130 km/h verliere ich die Orientierung und frage mich, ob ich in der vergangenen Minute überhaupt geatmet habe.

Eine langgezogene Kurve und den Bremshang später steige ich mit rasendem Herzen aus dem Bob. Meine Knie zittern immer noch. Susi Erdmann verteilt High-Fives, ich klatsche sie erleichtert ab. „Macht süchtig, oder?“, fragt Erdmann.
Ja, doch – ich würde mein Schicksal ihren Händen ein weiteres Mal anvertrauen.

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