Hockeyspielerin Natascha Keller trägt deutsche Fahne
LONDON - Etwas schüchtern, aber überglücklich lugte Natascha Keller hinter der überdimensionalen Olympia-Fahne im Deutschen Haus hervor. So richtig glauben konnte es die Hockey-Nationalspielerin auch bei der offiziellen Bekanntgabe noch nicht, dass sie die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier der 30. Olympischen Sommerspiele in London ins Olympiastadion tragen wird.
„Ich durfte es seit Dienstag niemandem sagen, dabei hätte ich es gerne mit der ganzen Welt geteilt“, sagte die Olympiasiegerin von 2004 mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Ich bin immer noch ein bisschen sprachlos. Das ist das i-Tüpfelchen auf meiner Karriere. Es ist eine große Ehre für mich persönlich, für die Sportart und die ganze Hockey-Familie.“ DOSB-Generaldirektor Michael Vesper hatte ihr die Entscheidung bereits am Dienstag bei Kaffee und Kuchen mitgeteilt. Nicht mal ihren Team-Kameradinnen hatte sie von der Ernennung berichten dürfen. „Sie hat eine enorme Ausstrahlung, mit ihrer Art ist sie ein Vorbild für alle. Natascha ist nicht überheblich, sie ist leistungsorientiert, bodenständig und erfolgreich“, begründete Vesper die Entscheidung.
Keller ist die erste deutsche Hockeyspielerin, die eine deutsche Olympia-Mannschaft ins Stadion führen wird. Die Berlinerin, 1999 Welthockeyspielerin des Jahres, erlebt in London ihre fünften Olympischen Spiele. Und sie tritt in große Fußstapfen, 2008 in Peking hatte schließlich Basketball-Weltstar Dirk Nowitzki die Fahne getragen. Bange ist ihr vor der Aufgabe aber nicht. „Klar ist Dirk ein bisschen größer und stärker. Aber so schwer wird die Fahne schon nicht sein“, sagte Keller mit einem breiten Grinsen: „Und zur Not wird mir sicherlich der eine oder andere aus der Mannschaft behilflich sein.“
Groß war die Freude auch im deutschen Hockey-Lager. „Das ist vor allem toll für unsere Sportart und natürlich für Natascha selbst“, sagte Damen-Bundestrainer Michael Behrmann dem SID: „Hockey steht ja in Deutschland nicht so sehr im Fokus wie beispielsweise in Argentinien, deshalb verschafft uns das einige Aufmerksamkeit.“ Er selbst „und natürlich die ganze Mannschaft“ seien „sehr stolz auf Taschi“. Stephan Abel, Präsident des Deutschen Hockey-Bundes, war ebenfalls voller Stolz: „Wir haben seit einiger Zeit intensiv daran gearbeitet, im Hintergrund die Entscheidungsträger zu überzeugen, dass in Natascha Keller eine Person die Fahne tragen darf, die es persönlich verdient hat und außerdem aus einer Familie kommt, die es so in keinem anderen Sport gibt.“
Die deutsche Mannschaft freute sich mit. Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno gratulierte via Twitter, und auch Hockey-Kollege Moritz Fürste beglückwünschte seine Teamkollegin: „Das ist hochverdient. Sie ist eine fantastische Botschafterin unseres Sports.“
Natascha Keller entstammt einer deutschen Hockey-Dynastie. Olympiasieger waren außer ihr selbst auch ihr Vater Carsten Keller (1972 in München) und ihr Bruder Andreas Keller (1992 in Barcelona). Ihr Großvater Erwin Keller gewann im Jahre 1936 in Berlin olympisches Silber gegen die damals als unschlagbar geltenden Inder. Ihr jüngerer Bruder Florian Keller spielte ebenfalls in der Nationalmannschaft und gewann 2008 Gold.
Keller ist die fünfte Frau seit 1908, die ein deutsches Olympia-Team anführen wird. Vor ihr wurde diese Ehre lediglich Ingrid Engel-Krämer (Wasserspringen/1964), Karin Balzer (Leichtathletik/1968), Kristina Richter (Handball/1980) und Birgit Fischer (Kanu/2000) zuteil.