Historisches Dreisprung-Gold: Trost für Venezuela
Caracas - Mit ihren Füßen stand Yulimar Rojas auf der roten Laufbahn des Londoner Olympiastadions, mit dem Herzen und dem Kopf war sie aber in ihrer Heimat.
"Lang lebe Venezuela!", rief die Dreispringerin nach dem historischen ersten Gold für die geschundene südamerikanische Nation bei einer Leichtathletik-WM: "Ich hoffe, diese Medaille bringt meinem Land etwas Glück. Und ich hoffe, dass dieser Krieg zwischen venezolanischen Brüdern und Schwestern endlich endet."
Venezuela versinkt im Chaos, die Wirtschaft ist in dem Land, das die weltweit größten Erdöl-Reserven besitzt, kollabiert, die politische Krise hat sich zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen ausgeweitet, bei Protesten sind mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. In diesen dunklen Zeiten sind die märchenhaften Londoner Erfolge von Rojas und Stabhochspringerin Robeilys Peinado, die kurz zuvor Bronze gewonnen hatte, kleine, aber so unendlich wichtige Lichtblicke.
"Es tut mir so leid"
"Es tut mir so leid, was daheim passiert", sagte die 21 Jahre alte Rojas, die Flagge ihres Heimatlandes auf den Schultern, dicke Tränen in den Augenwinkeln: "Venezuela ist solch ein wunderbares Land, das immer gut zu mir war, immer gut für mich gesorgt hat."
In der Leichtathletik-Welt war Venezuela lange ein Zwergstaat, stand im Schatten des mittlerweile auch politisch und wirtschaftlich so sehr besser gestellten Nachbarn Kolumbien. Vor den Titelkämpfen in London war ein achter Platz von 1500-m-Läufer Eduard Villanueva 2011 in Daegu das beste WM-Ergebnis gewesen. Am Montagabend nun lag Venezuela auf Platz fünf des Medaillenspiegels, vor China, vor Großbritannien, vor Deutschland.
"Mich macht das alles so stolz. Stolz, dass ich meinen Freunden, meiner Familie, meinen Landsleuten Freude bereiten konnte. Ich hoffe, es reicht daheim zu einer kleinen Party", sagte Rojas, die im Finale von London mit dem vorletzten Versuch die beste Dreispringerin der Geschichte abgefangen hatte: Caterine Ibargüen, Olympiasiegerin von Rio, Weltmeisterin 2013 und 2015 - und ausgerechnet eine Kolumbianerin.
Auffällige Haare
Gänzlich aus dem Nichts kam Rojas' Coup freilich nicht: Die flippige Springerin, deren Haarfarbe in London irgendwo zwischen Mintgrün und Zahnpastablau lag ("Nach dem WM-Gold gönne ich mir jetzt Pink!"), die im spanischen Guadalajara lebt und von Kubas Weitsprung-Ikone Ivan Pedroso trainiert wird, hatte bereits 2016 bei der Hallen-WM triumphiert und Olympiasilber hinter der elf Jahre älteren Ibargüen gewonnen. Die Wachablösung dürfte nun vollzogen sein. "Ich will jetzt einfach noch mehr Titel und Medaillen gewinnen", sagte Rojas.
Mit ihrem London-Gold wollte sich sogleich Nicolas Maduro schmücken, Venezuelas so umstrittener Präsident, der im Mittelpunkt der Krawalle steht. "Welch großer Stolz, den Sieg unserer Yulimar Rojas zu sehen, dieser glorreichen Sportlerin einer goldenen Generation", twitterte der Staatschef.
Darauf angesprochen, wurde die Weltmeisterin plötzlich sehr nachdenklich. "Eigentlich will ich nicht darüber reden, weil es ein sehr empfindliches Thema ist", sagte Rojas: "Ich möchte darüber sprechen, was hier heute passiert ist und wie wichtig das für Venezuela ist. Im Moment bin ich einfach sehr glücklich."
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