Hary: "Ich verzeihe Bolt seine ganzen Mätzchen"
AZ: Herr Hary, was sagen Sie, der erste Mensch der Welt, der die 100 Meter in 10,0 Sekunden gelaufen ist, über den erneuten WM-Triumph von Wunderläufer Usain Bolt?
ARMIN HARY: Nun, ich muss zugeben, wenn es dann „auf die Plätze, fertig, los!“ heißt, reißt mich die Dramatik schon mit, dann bin ich immer noch Sprinter. Vielleicht nicht mehr mit den Beinen, aber im Herzen. Es war ein spannender Lauf, eine Hundertstelsekunde Vorsprung, enger geht’s nicht. Am Ende war Bolt wieder vorne. Sein Konkurrent Justin Gatlin ist auf den letzten 20 Metern fürchterlich gelaufen, total verkrampft. Da sieht man eben, es zählen nicht irgendwelche tolle Zeiten, sondern es zählt nur der Kampf Mann gegen Mann. Es geht um den Platz, nicht die Zeit. Da war Bolt wieder der Beste. Die anderen haben aber aufgeholt. Ob sie jetzt einen tollen Mediziner gefunden haben – oder warum auch immer – sei dahingestellt.
Der 100-Meter-Lauf wurde als das dreckigste Finale dieser WM tituliert. Gatlin, Tyson Gay, Asafa Powell sind alles überführte Dopingsünder.
Für mich war das nicht das Duell Gut gegen Böse, sondern das Duell Gut gegen Gut – oder Böse gegen Böse. Viel mehr will ich dazu aber nicht sagen. Ich war ja der Erste, der lebenslange Sperren für Doper gefordert hat, wurde damals aber ausgelacht und verhöhnt. Heute sind ein paar mehr Leute meiner Meinung. Wenn man mal bei einem Finale fünf von acht Läufern gleich überführen könnte und lebenslang sperren würde, hätten die anderen doch so eine Angst, etwas zu machen, dass die Problematik sich schnell von allein erledigen würde. Aber so lange man nichts in der Hinsicht tut, muss man sich auch nicht wundern, dass munter weitergedopt wird. So wie es jetzt ist, bei den Millionen die da verdient werden können, und wie lächerlich die Strafen sind, ist das doch wie ein Elfmeter für die Doper.
Es ist fast genau 55 Jahre her, dass Sie als erster Mensch der Welt die 100 Meter in 10,0 Sekunden liefen. Jetzt steht Bolts Weltrekord bei 9,58...
Die Zeiten kann man schlicht nicht vergleichen. Unsere Rennschuhe wogen zum Beispiel 380 Gramm, die jetzigen nur 80. Ich wäre so gerne nur ein einziges Mal in meinem Leben auf einer Tartanbahn gelaufen. Ein Usain Bolt hätte mit seiner Physiognomie auf Asche überhaupt keine Chance gehabt. Wir haben uns ja schon zehn Zentimeter tief eingegraben, er wäre die ersten 40 Meter gar nicht recht ins Laufen gekommen. Er hat dafür die ideale Physiognomie für die Tartanbahn und macht das Beste draus. Bolt ist definitiv eine Ausnahmeerscheinung, der beste Läufer seiner Zeit, so wie es Jesse Owens zu seiner Zeit war. Er hat die Leichtathletik der letzten Jahre geprägt.
Mögen Sie den Typen Usain Bolt? Nicht selten spielt er ja mit der Konkurrenz, liefert die Usain-Bolt-Show ab.
Das gehört heute dazu. Der Sport ist in den Fängen des Kommerzes. Wie heißt es im Volksmund: „Wer zahlt, schafft an.“ Und das sind eben heute die Sponsoren. Die Show, die ganzen Mätzchen von Bolt, die sind angelernt, die sind aufgesetzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ich habe ihn nie getroffen, aber ich denke, dass er als Mensch ganz anders ist, als er sich gibt. Daher verzeihe ich auch die ganzen Mätzchen, in dem Wissen, dass sie irgendwie gefordert, verlangt sind – und er diese Forderungen eben erfüllt. Auch da haben sich die Zeiten geändert. Stellen Sie sich vor, ich hätte sowas zu meiner Zeit abgezogen.
Da hätte es nur geheißen: „Der Verrückte ist wieder da.“ Das hieß es ja so schon, obwohl ich nichts davon gemacht habe (lacht). Es klingt vielleicht sehr nostalgisch, aber der Sport war früher ehrlicher, unschuldiger. Aber ich bin kein Mensch, der in der Vergangenheit lebt. Ich bin ein Mensch der Gegenwart und hoffe auf die Zukunft. Da wäre es toll, wenn ich noch erleben könnte, dass die Deutschen im Sprint auch wieder eine Rolle spielen. Wie gesagt: Ich hoffe auf die Zukunft.
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