Halbfinale? Eher nicht!
Hier erklärt Deutschlands „Handballspieler des Jahrhunderts“ warum die WM 2007 nicht nachhaltig gewirkt hat – und wie die Chancen der Deutschen bei der WM in Schweden aussehen
AZ: Herr Wunderlich, 2007 gab es die große Handball-Euphorie in Deutschland bei der Heim-WM. In den drei folgenden Jahren gewann die Mannschaft international keine Medaillen mehr. Was ist geblieben vom WM-Titel?
ERHARD WUNDERLICH: Gemessen an dem, was man nach der Weltmeisterschaft erwarten konnte, muss man jetzt leider feststellen: nicht viel. Vor allem keine Nachhaltigkeit.
Das heißt konkret?
Uns fehlen in Deutschland derzeit ungefähr 6000 Trainer, auf diesem Gebiet haben wir große Defizite. Auch, was die Kapazitäten und Hallenzeiten der Vereine betrifft. Ich kenne einige Fälle, in denen Klubs Interessierte wieder nach Hause schicken mussten, weil sie keinen Platz hatten.
Was ist also von der deutschen Mannschaft bei der am Donnerstag beginnenden WM in Schweden zu erwarten? Heiner Brands Wunsch ist ja, ins Halbfinale zu kommen.
So weit würde ich eher nicht gehen. Erst einmal muss die Mannschaft die Gruppenphase überstehen, das wird schwer genug. Die Vorbereitungszeit war kurz, außerdem setzte es da zuletzt Niederlagen. Und die Mannschaft plagen Verletzungsprobleme.
Auf wen wird es in der deutschen Mannschaft besonders ankommen?
Ich gehe davon aus, dass uns die Defensive um unser Torwart-Trio Silvio Heinevetter, Johannes Bitter und Carsten Lichtlein den Rücken freihalten wird. Was die Verteidigung betrifft, haben wir die besten Voraussetzungen. Entscheidend wird sein, wie sich die Rückraumspieler präsentieren, speziell die Reihe Lars Kaufmann, Pascal Hens, Michael Kraus und Holger Glandorf. Sie müssen Gas geben und dem Rest der Mannschaft Luft verschaffen.
Deutschlands Gruppengegner Frankreich gilt als Top-Favorit auf den Titel. Auch für Sie?
Ich denke, sie werden mit einer recht großen Wahrscheinlichkeit oben stehen. Die Mannschaft ist stark besetzt und eingespielt. Aber Spanien, Island und Russland werden auch ein Wort um den Titel mitreden können.
Spanien ist ebenfalls deutscher Gruppengegner. Wie stark sind sie?
Spanien hat eine der besten Ligen der Welt, die Top-Leute aus den Vereinen im ersten Drittel der Tabelle haben absolutes Spitzenniveau.
Dann ist da noch Ägypten, mit dem deutschen Trainer Jörn-Uwe Lommel...
...wegen ihm werden sie auch etwas hochstilisiert. Ich weiß nicht, ob sie zu den Top 10 der Welt gehören. Aber man muss auch zugeben: Dort wird gut gearbeitet. Und Lummel mag es, Fallen zu stellen. Und die deutsche Mannschaft tritt gerne einmal in solche hinein.
Was kann Tunesien?
Ich sehe sie international eher im Mittelfeld. Einige gute Spieler haben es allerdings schon nach Europa geschafft.
Und Bahrain?
Ist ganz schwierig einzuschätzen, ich weiß nicht einmal genau, woher sie ihre Spieler rekrutieren.
Es gibt also einen Vierkampf zwischen Deutschland, Frankreich, Spanien und Ägypten um die drei Plätze für die nächste Runde?
Möglich. Aber sagen wir es so: Der Gewinner ist der Zuschauer, jedes Spiel wird spannend und entscheidend sein.
Interview: Julian Galinski
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