Grandios und doch so gespenstisch

Der AZ-Olympiareporter, bei der Eröffnungsfeier in Peking live vor Ort, über seine Gefühle bei einem so verzaubernden wie verführenden Spektakel.
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Fliegende Tänzer ziehen die Olympischen Ringe in die Luft: Die Spiele können beginnen.
dpa Fliegende Tänzer ziehen die Olympischen Ringe in die Luft: Die Spiele können beginnen.

PEKING - Der AZ-Olympiareporter, bei der Eröffnungsfeier in Peking live vor Ort, über seine Gefühle bei einem so verzaubernden wie verführenden Spektakel.

Um 23.03 Uhr Ortszeit kam dann der Auftritt von Dirk Nowitzki. Freudig führte er als Fahnenträger die deutsche Mannschaft ins Pekinger Olympiastadion, der Superstar aus der NBA, der auch in China enorm beliebt ist.

Noch mehr Jubel gab es schon vor Beginn der Eröffnungsfeier. Als Staatspräsident Hu Jintao gütig und väterlich den Massen entgegenwinkte, da tobten die Menschen im Stadion, als sei er ein Teenie-Popstar und kein 65-jähriger Volksherrscher. In Europa ernten Politiker bei solchen Anlässen Pfeifkonzerte. In China Begeisterungsstürme. Ein Enthusiasmus, der sich fortsetzte, in einer einzigartigen Show, aber auch einer schmalen Gratwanderung zwischen künstlerischer Glanzleistung und politischer Instrumentalisierung.

Auf der Ehrentribüne des Pekinger Vogelnestes tummelten sich die Mächtigen Chinas und der Welt. Neben den neun Köpfen aus dem KP-Politbüro auch US-Präsident George W. Bush, Russlands Wladimir Putin, Frankreichs Nicolas Sarkozy. Mehr als 80 Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Mit ihnen wurden 91000 Menschen Zeugen eines unvergleichlichen Ereignisses zwischen militärischem Drill und makelloser Perfektion. Großes Theater, gegen das frühere Eröffnungsfeiern wie ein laienhafter Bauernschwank anmuteten. Aber auch ein Pomp, der das Gefühl vermittelte, dass das Individuum wenig zählt in China. Sondern nur das Kollektiv.

Ob die 2008 Trommler zum Auftakt, die ebenso vielen Taichi-Kämpfer oder die 3000 Konfuzius-Schüler – es war immer die Masse, die herausstach. Nicht der Einzelne. Selbst als Chinas Klavier-Exportschlager Lang Lang neben der fünfjährigen Li Muzi in die Tasten griff, wurden auch sie von 1000 grünen Männchen umringt, in Nachbildung des Vogelnests. Kein Entkommen. Genauso wenig wie der Betrachter der Faszination der Feier entkommen konnte.

Aber natürlich musste auch die Staatsmacht Präsenz zeigen. Als 56 Kinder in den Trachten der 56 chinesischen Volksstämme die rote Landesfahne durchs Stadion trugen, um sie an eine Heereskompanie zu übergeben, und als die kleinen Kinder bei der Hymne singen und salutieren mussten. Und als Soldaten in unfreiwillig komischen Militär-Martialismus die Olympia-Fahne hissten. Belustigend, beängstigend, so fürchterlich fremd.

Beim Einmarsch gab es monotones Applausgeklapper für die Nationen, Jubel brandete bei Pekings Ablegern Taiwan und Hongkong auf, bei Pakistan, dem Verbündeten gegen Rivale Indien, und, natürlich beim Gastgeber, bevor Li Ning das Stadion in Atem hielt. Der dreimalige Turn-Olympiasieger von Los Angeles 1984 wurde am Seil hoch in die Luft gezogen, um nach einem Querlauf rund um die Innenseite der Dachkonstruktion das Feuer zu entzünden. Dann durften sich die Pyrotechniker beim Feuerwerk austoben. Beruhigend war bei aller Perfektion, dass sie beim Einmarsch der Länderparade bei der Musikauswahl gründlich daneben langten. Bei den Brasilianern erklangen Dudelsäcke, bei Katar spielten sie Wiener Klassik, bei Spanien Fernost-Musik wie im China-Restaurant. Gut, dass es noch menschelte, bei diesem Spektakel, das genial verzaubernd war und gefährlich verführerisch. Grandios und doch gespenstisch.

Florian Kinast

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