Wenn die Bilder lügen lernen...

Die TV-Szene von Löw und einem Balljungen sorgt für Ärger – weil die Uefa die Aufnahme manipuliert hat. Auch sonst werden unliebsame Bilder zensiert. „Wir sind nicht informiert worden”, klagt das ZDF
Frank Hellmann |
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Bundestrainer Joachim Löw und der Balljunge.
dpa Bundestrainer Joachim Löw und der Balljunge.

Kiew - Die Täuschung der Massen erregt die Gemüter. Es sah ja nett aus, wie ein tiefenentspannt Kaugummi kauender Bundestrainer Joachim Löw angeblich während des Holland-Spiels einem Balljungen hinterrücks das Spielgerät aus der Armbeuge boxte. Doch die 18 Sekunden, die sich auch im Internet verbreitet haben, weiten sich zum Skandal aus.

Weil die 27,22 Millionen deutschen TV-Zuschauer in der 22. Minute einer Täuschung erlagen. Und die übertragende Anstalt, das ZDF, fühlte sich gleich mit manipuliert – von der Uefa.
Beruhte die Einblendung doch auf falschen Tatsachen, wie die Uefa kleinlaut bestätigte. Tatsächlich hatte sich die Anekdote eine Viertelstunde vor Anpfiff ereignet und war in die Live-Übertragung montiert worden. Darauf verwies Löw im Interview mit ZDF-Mann Michael Steinbrecher. Der korrigierte Löw: „Nee, nee, da stand’s 0:0.” Dass nicht mal das ZDF über die Abläufe im Bilde ist, führt zu Verstimmung. „Wir sind darüber nicht informiert worden, welche Szene eingeblendet wurde”, klagt ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz, „wir konnten nicht erkennen, ob das live war oder nicht.”

Generell habe man „keinen Einfluss auf das vom Host Broadcaster angebotene Bild” – so nennt sich der übergeordnete Bilderproduzent unter dem Uefa-Dach. ARD und ZDF bezahlen für die Übertragungsrechte aller 31 EM-Spiele dem Vernehmen nach rund 110 Millionen Euro – und bekommen dafür ein Fertigprodukt. Die Uefa allein bestimmt das Weltbild, das zwischen Finnland und Feuerland ausgestrahlt wird. Bis zu 35 Kameras sind in den Stadien installiert; ihre Aufnahmen werden von einer vielköpfigen Regie im International Broadcast Centre (IBC) in Warschau montiert. Devise: störungsfreies Erscheinungsbild. Ohne Flitzer, die aufs Feld sprinten, Fans, die mit Pyrotechnik hantieren, Politiker, die Protestplakate recken.

Der Fan, der bei Irland gegen Kroatien den Rasen stürmte, wurde ebenso nicht gezeigt wie die Bengalos, die kroatische Fans entfachten. Leere Ränge werden ausgeblendet, politische Botschaften nicht eingefangen. Wie die Grünen-Politiker Rebecca Harms und Werner Schulz, die in Charkiw während der Hymnen ein Transparent entrollten, alle politischen Gefangenen frei zu lassen.

Gruschwitz kennt das Problem, kann es aber nicht lösen: „Wir sind nicht das Korrektiv des Weltbildes.” Zwar stellen ARD und ZDF bei DFB-Spielen bis zu zehn Zusatzkameras auf, man könne aber nicht koordinieren, hin und her zu schalten. Diese Kameras seien in erster Linie für Interviews und Moderationen vorgesehen, so Gruschwitz, „wir könnten allerdings, wenn unsere Kameras journalistisch Verwertbares einfangen, das später senden. Es gibt da keine Zensur.” Trotzdem besteht wegen der Löw-Episode nun Redebedarf mit der Uefa.

Die hat zur Rechtfertigung Argumente wie in einem schlechten Propagandafilm. Die Uefa verweist auf Knebelverträge, die mit Nationalverbänden und TV-Anstalten geschlossen sind. Das Filmmaterial soll laut Reglement „der Promotion des Wettbewerbs” dienen. Klaus Heinen, ARD-Programmchef im IBC, bestätigt, dass es Philosophie der Uefa sei, „ein neutrales Bild, das sich nur um den Sport kümmert, zu zeigen”.

ARD und ZDF stören sich längst an dieser Regulierungswut. Genau wie die noch schlechter beleumundete Fifa geht mittlerweile auch die Uefa vor. Alles was zur heilen Fußballwelt nicht passt, wird aus dem Bild geschnitten. Wer damit so viel zu tun hat, sendet nette Bilder eben zur falschen Zeit.

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