Trauerfeier für Enke: Die Stille der Fans

Mit einer beispiellosen Feier nimmt eine Stadt und ein Land im Stadion von Hannover Abschied vom Torwart. Ministerpräsident Wulff tröstet die Witwe - und den Souvenirhändlern ist ihre Arbeit an diesem Tag peinlich.
von  Abendzeitung
Teresa Enke wird von Marco Villa (r.), einem Freund der Familie, getröstet. Links die Eltern von Robert Enke, in der Mitte der frühere Berater des Verstorbenen, Jörg Neblung.
Teresa Enke wird von Marco Villa (r.), einem Freund der Familie, getröstet. Links die Eltern von Robert Enke, in der Mitte der frühere Berater des Verstorbenen, Jörg Neblung. © dpa

HANNOVER - Mit einer beispiellosen Feier nimmt eine Stadt und ein Land im Stadion von Hannover Abschied vom Torwart. Ministerpräsident Wulff tröstet die Witwe - und den Souvenirhändlern ist ihre Arbeit an diesem Tag peinlich.

Es ist die Stille, die einen erschreckt, die einen anfasst. Sie bahnt sich ihren Weg als schön-schauriges Band der Ruhe. Ein Weg, der sonst Menschen zum Stadion führt, die laut sind. Fröhlich. Angeheitert. Sie wollen Spaß haben, Aufmerksamkeit erregen.

Sonntag in Hannover. Eine Woche ist es her, dass jener Weg zuletzt eine Prozession der Vorfreude war. Hannover 96 spielte gegen den HSV 2:2. Am Ende bedankte sich Robert Enke bei den Fans. Eine Woche später ist alles anders. Der Hauptbahnhof, die U-Bahn-Stationen, der Fußweg zum Stadion - eine Schweigestrecke. Stille ist das Geräusch der Trauer. Am Samstagabend hatten die ersten Fans am Stadion kampiert, um Nähe zu spüren. Zum Arbeitsplatz von Robert Enke, dem Torhüter, der sich letzten Dienstag wegen seiner Depressionen das Leben genommen hat.

„Es ist so ruhig, so gedämpft", sagt Fabian, ein 96-Fan in den Dreißigern, der immer in dasselbe Café am Bahnhof geht vor Heimspielen. Jetzt steht kein Spiel an. Eine Abschiedsfeier. „Ich habe das Gefühl, ganz Hannover hat seit Dienstagabend eine Gänsehaut", sagt Daniela. Eine Stadt auf Halbmast. In einer achtseitigen Sonderbeilage mit insgesamt 228 Todesanzeigen haben zwei örtliche Zeitungen Samstag an Robert Enke erinnert. Das Leben in Hannover verläuft langsamer. Eine Woche in Moll.

Die Luft ist kalt und klar, die Novembersonne steht tief und blendet. Die Menschen berühren einander, nehmen ihre Kinder an die Hand auf dem Weg zur Trauerfeier. In ihrer Trauer tragen viele Fans ihre vertrauten Klamotten. Kutten, Kappen, Fanschals. Ein Mädchen hat eine Rose dabei. Kleine Kinder Kerzen und handgeschriebene Abschiedsbriefe. Für ihren Robert. Es wird kaum gesprochen. Keine Fangesänge, kein Gegröle. Die Stadiongaststätte „Nordkurve" öffnet erst nach Ende der Trauerfeier. Und selbst den Händlern, die am U-Bahnausgang „Waterloo" an mobilen Ständen Robert-Enke-Souvenirs verkaufen, scheint ihr Ansinnen peinlich. Zwei Euro für die „Stiftung Kinderherz" werden von jedem Schal „In Memory of Robert Enke" und jedem Todesanzeigen-Shirt „Du wirst immer unsere Eins bleiben" gespendet. Immerhin zwei Euro. Der Kommerz aber stirbt nie.

Auch im Stadion. Der Namensgeber der „AWD Arena" hat es nicht für nötig befunden, die Werbebanden zwischen den Rängen mit schwarzem Stoff zu verdecken. „Mehr Siege. Mehr Tore. Mehr Netto", heißt es da. Alle anderen Werbebanden sind verdunkelt worden.

Es hat keine Eintrittskarten gegeben, die Menschen suchen sich ihre Plätze. Und warten schweigend. Ein Stadion voller Ruhe. Sie wollen Abschied nehmen. Einmal ruft einer aus der Kurve "Ro-bert En-ke". Er findet keine Mitstreiter. Die Stille lässt ihn verstummen. Einzig die Kamera-Hubschrauber des Fernsehens, die über dem Stadion kreisen, lärmen.

Als die Nationalmannschaft, angeführt von Kapitän Michael Ballack und Per Mertesacker, Enkes ehemaligem Mitspieler bei Hannover, aus den Katakomben zum Mittelkreis schreitet, werden die Zuschauer erlöst. Sie können applaudieren. Klatschen als Zustimmung, als Unterstützung. Ballack und Mertesacker legen den Kranz der Nationalelf an Enkes Sarg nieder, der am Mittelkreis umgeben von Blumenarrangements aufgebaut wurde. Die Nationalspieler, die die schreckliche Nachricht am Dienstagabend beim Abendessen erfahren hatten, nehmen Abschied. Als letzte in der Reihe Bundestrainer Joachim Löw, Teammanager Oliver Bierhoff und WM-Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der aus Kalifornien eingeflogen war. Auch Witwe Teresa Enke verharrt vor dem Sarg. Der stürmische Applaus der Zuschauer soll ihren Gang festigen.

Der katholische Pfarrer Heinrich Plochg begrüßt die Trauergemeinde, rund 40000 Menschen. Plochg kannte die Familie Enke, führte mit ihr die Gespräche nach dem Tod von Tochter Lara. In weiteren Ansprachen wenden sich Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, DFB-Präsident Theo Zwanziger, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff und Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil an die Menschen und insbesondere an Frau Enke. Wird sie erwähnt, steigert sich der zögernde Applaus zu einer Geste, als wollen die Menschen der tapferen Witwe persönlich unter die Arme greifen. „Liebe Frau Enke, ich möchte Ihnen danken und meine Hochachtung aussprechen", sagt Wulff und verspricht: "Sie können sich auf uns alle in den nächsten Jahrzehnten verlassen."

Intensivsten Anklang finden die Worte von DFB-Präsident Zwanziger. „Fußball ist nicht alles", betont er, "Fußball darf nicht alles sein, liebe Eltern, wenn Ihr daran denkt, ob Eure Kinder einmal Nationalspieler werden könnten." Er fordert „ein Stück mehr Menschlichkeit, ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen, des Nächsten, des Anderen. Das wird Robert Enke gerecht."

Immer mehr Zuschauer auf den Tribünen zeigen ihre Gefühle, ihre Tränen. Und sie applaudieren sich selbst als Bürgermeister Weil sagt: „Es ist sehr still dieser Tage in Hannover. Aber es ist auch warm bei uns im Moment - darauf können wir stolz sein."

Am Ende der Trauerfeier tragen Mitspieler von Hannover 96 zu Klängen von "You'll never walk alone" den Sarg vom Mittelkreis aus dem Stadion, mancher der Profis wird dabei von Weinkrämpfen geschüttelt. Auf der Anzeigetafel werden Bilder aus der Karriere von Enke gezeigt, viele Trauernde verharren noch über eine halbe Stunde auf ihren Plätzen.

Am Nachmittag wird Enke auf dem Empeder Friedhof, wo seit 2006 sein verstorbenes Töchterchen begraben liegt, im engsten Familienkreis bestattet.

Rund ums Stadion entzünden die Fans weitere Kerzen, legen ihre Abschiedsbriefe ab. In Kinderschrift steht auf einem bunten Papier: „Lieber Robert, wenn ich groß und stark bin, komme ich dich im Himmel besuchen. Dein kleiner Freund Heiko."

Ein paar Fans klatschen vor sich hin als sie zur U-Bahn gehen. Das Geräusch der Hoffnung ist zurück. Bei ihrem nächsten Stadionbesuch wird Robert Enke fehlen.

Patrick Strasser

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