Torwart Zieler: Im Schnelldurchgang
Zehn Jahre ist das „Side“ alt, und immer noch gehört das Haus an der Drehbahn zu den angesagtesten Hotels Hamburgs. Die puristische Inneneinrichtung des italienischen Designers Matteo Thun und die Lichtchoreografien des US-Theaterregisseurs Robert Wilson haben der Herberge einen szenigen Ruf eingebracht: Wer hier logiert, hält etwas auf sich oder hat es zu etwas gebracht. Insofern sind die DFB-Kicker hier genau richtig, um sich auf den Länderspiel-Doppelpack gegen die Ukraine und Niederlande vorzubereiten.
Gespielt wird in aller Freundschaft, doch einige der von Joachim Löw angekündigten „personellen und taktischen Experimente" sind schon von Interesse. Ron-Robert Zieler durfte am Dienstag nicht nur im altehrwürdigen Stadion Hoheluft des SC Viktoria Hamburg im Kreis der DFB-Elite trainieren, sondern wird auch am Freitag im neuen Olympiastadion von Kiew sein Debüt geben.
Für Jörg Sievers, Torwarttrainer bei Hannover 96, macht Löws Trainerstab da nicht viel falsch: „Ron-Robert ist breit aufgestellt. Er ist stark auf der Linie und im 1:1, fußballtechnisch gut, spielt hervorragend mit. In allen Segmenten sind nur Kleinigkeiten zu verbessern. Was ihm am meisten fehlt, ist Erfahrung.“
Das erklärt auch die herbstlichen Schwankungen, denen der 22-Jährige gerade unterliegt. Sowohl in der Europa League als auch in der Liga sah das einst bei Manchester United geformte Talent nicht immer gut aus. 96-Trainer Mirko Slomka tadelte ihn als „unentschlossen“ und „unsicher“ und hofft, dass der DFB-Aufenthalt als Therapie dient.
Der Schlussmann mit den erst 27-Bundesliga-Einsätzen sieht es genauso: „Vom Kopf her ist es ja ganz gut, nach den vielen 96-Spielen mal was anderes zu sehen.“ Obwohl Zieler wie der mit ihm um den Platz hinter Manuel Neuer rangelnde Tim Wiese überzeugter Rheinländer ist, kommt er anders rüber, taugt nicht als Selbstdarsteller („Meine Aufgabe ist es, Bälle zu halten“), ist kein Obermacker („Man muss nicht ein Schwein sein, um sich durchzusetzen“). Gelassenheit und Besonnenheit sind seine Merkmale.
„Seine Entwicklung ist erstaunlich“, lobt Sievers, „Potenzial und Talent waren bei ihm früh zu erkennen, aber er hat im Schnelldurchgang Karriere gemacht.“ In elf Monaten von der Nummer drei im Verein zur Nummer drei in Deutschland. Sollte der bis 2015 an die Niedersachsen gebundene Zieler zur EM fahren dürfen, „kommt das für ihn nicht zu früh“, so Sievers, „er ist dort richtig aufgehoben.“
Die Berufung steht symbolisch für eine hochbegabte Torwart-Generation, zu der auch die bei der U<TH>21 weilenden Jungspunde Marc-André ter Stegen, Oliver Baumann und Kevin Trapp zählen. Andreas Köpke preist die Dichte an begabten Ballfängern: „Die Jungs kommen gar nicht erst ins Grübeln.“ Das ist auch deshalb eine wichtige Aussage, weil gerade der Standort Hannover gegenteilige Belege geführt hat.
Der Suizid des an Depressionen leidenden Robert Enke jährt sich am Donnerstag zum zweiten Mal. Enkes selbst auferlegter Druck, die Nummer eins beim DFB zu werden, hat zur Tragödie beigetragen. Enke war nicht für das dann wegen seines Freitodes abgesagte Länderspiel im November 2009 gegen Chile nominiert worden. Sievers hat nun genügend Abstand, um über das Thema zu reden: „Robert Enke hat dazu beigetragen, dass die Hemmschwelle, eine solche Erkrankung öffentlich zu machen, gesunken ist. Das Problem wird nicht mehr totgeschwiegen, deshalb hat sich auch Markus Miller öffnen können.“
Zielers Stellvertreter hat sich zu einer „mentalen Erschöpfung“ bekannt und befindet sich in Behandlung. Und dann ist da noch Florian Fromlowitz, Zielers Vorgänger, der sich vielleicht nie vom Enke-Erbe freimachen konnte, wie Sievers erklärt: „Für Florian war es eine harte Geschichte, weil er sich mit Enke gut verstanden, jeden Tag mit ihm trainiert hatte – und so eigentlich nie ins Tor kommen wollte." Für den bevorstehenden Nationalelf-Debütanten stellt der Torwart-Versteher von Hannover jedoch klar: „Das Gute ist: Ron-Robert hat mit der ganzen Geschichte nichts zu tun.“