"Sehr verwöhnt, schwieriger Charakter"

Das EM-Gespräch: Daniel Cohn-Bendit über Frankreichs Star Franck Ribéry, Politik in der Ukraine und Franz Beckenbauer.
von  Interview: Matthias Kerber
"Ich habe 300 Euro auf Frankreich gesetzt, dass sie Europameister werden, wenn das klappt, kriege ich 3000 Euro."
"Ich habe 300 Euro auf Frankreich gesetzt, dass sie Europameister werden, wenn das klappt, kriege ich 3000 Euro." © dapd/dpa

AZ: Herr Cohn-Bendit, Wiedergutmachung ist angesagt für Frankreichs Fußballer nach den skandalösen Ereignissen bei der WM 2010, als die Spieler einen öffentlichen Boykott gegen Trainer Ray Domenech vollführten und sich danach sportlich blamierten.

DANIEL COHN-BENDIT: Wiedergutmachung ist in Frankreich ein großes Wort. Diese Mannschaft hat es sogar geschafft, dass der öffentliche Druck gar nicht groß ist, weil in Frankreich kaum jemand Großes von dem Team erwartet. Die wenigsten glauben, dass Frankreich überhaupt die Gruppenphase übersteht.

Was glauben Sie?

Ich habe 300 Euro auf Frankreich gesetzt, dass sie Europameister werden, wenn das klappt, kriege ich 3000 Euro.

Als Ikone der Pariser Studentenrevolte im Jahre 1968 haben Sie ja sicher eine gewisse Grundsympathie für Auflehnung und Ungehorsam...

Ach, das war doch kein ziviler Ungehorsam! Das waren arrogante Schnösel. Ich fand diesen Boykott nicht gut! Ziviler Ungehorsam hat etwas mit Überzeugung, mit Eintreten für eine Sache zu tun. Davon war doch nichts da. Gar nichts! Das waren Schnösel, die sich nicht benehmen konnten. Es war ein Benehmen ohne dahinter stehende Überzeugung, so was hat nichts mit zivilem Ungehorsam oder gar Zivilcourage zu tun. Das Ganze ist ein grundsätzliches Problem im Fußball. Immer weniger Spieler haben einen wirklichen Charakter. Die Spieler sind alles nur noch verwöhnte Kinder, die alle wahnsinnig viel Geld verdienen und in einer eigenen losgelösten Welt leben und agieren. Das ist in Frankreich nicht anders als in Deutschland.

Eine zentrale Figur des französischen Spiels ist Franck Ribéry. Der stand nach 2010 und diversen anderen Affären besonders am Pranger. Die Sportministerin plädierte sogar für eine Verbannung aus der Nationalmannschaft.

Das war alles Blabla. Die damalige Sportministerin hätte sich raushalten sollen. Ribéry soll spielen und damit basta.

Was halten Sie von ihm als Spieler?

Er ist bei Bayern und in der Nationalmannschaft einer der besten, vielleicht sogar der beste Spieler. Aber er ist auch einer, der sehr verwöhnt ist. Er hat sich zwar hochgekämpft aus sehr ärmlichen Verhältnissen, aber er ist ein schwieriger Charakter. Bei ihm gibt es nur Himmel oder Hölle. Das Dazwischen gibt es nichts. Das Problem bei ihm ist, dass er in seiner Spielweise fast immer alles allein machen will. Das geht aber nicht. Das zu erkennen, unterscheidet einen guten Spieler von einem genialen Spieler.

Ist es das, was ihn von Frankreichs Fußball-Legende Zinedine Zidane unterscheidet?

So ist es. Zidane hat einen ganz anderen Charakter, er war ein anderer Mann. Er ist überhaupt ein Mann, eine gefestigte Persönlichkeit, das ist Ribéry nicht. Zidane steht über allem, er wird in Frankreich fast überhöht, fast ins Unmenschliche glorifiziert.

Trotz seiner Roten Karte im WM-Finale 2006, die Frankreich wohl den Titel kostete?

Man hat ihm den Ausraster im Finale gegen Materazzi nicht groß übelgenommen. Die Franzosen haben Verständnis für echte Gefühle, haben ein Faible für tragische Helden. Und es ist nunmal manchmal nervig gegen diese Italiener zu spielen. Und gegen einen Materazzi doppelt. Die Öffentlichkeit verbindet ihn stets mit dem WM-Sieg 1998, aber das waren nicht Zidanes größten Spiele. Sein größter Auftritt war das Viertelfinale bei der WM 2006 gegen Brasilien, als er allein die Franzosen in der Mitte, vorne und hinten organisiert hat.

Brasilien ist damals an Zidane gescheitert.

Richtig! Brasilien verlor gegen Zidane, nicht Frankreich.

Zidane und Ribéry stammen beide aus Großstadt-Slums.

Das erinnert mich immer an Amerika und die Boxer dort früher. Der Sport war jeweils der Weg der Emanzipation, ein Weg aus der Trostlosigkeit, der Hoffnungslosigkeit.

Ex-Präsident Sarkozy sprach von den Bewohnern der Vororte einst als „Gesindel, das mit dem Hochdruckreiniger rausblasen“ müsste.

Das sagt alles darüber, wie verhärtet die Seiten sind. Die Zustände sind zwar nicht schlimmer geworden, aber auch nicht besser. Was sich verändert hat, ist, dass die Krise jetzt tiefgreifender ist. Im Frankreich gab es immer diesen republikanischen Ansatz, dass alle dazugehören. Wenn die soziale Ungerechtigkeit immer größer wird, diese Schere zwischen denen, die immer mehr Geld anhäufen und denen, die immer ärmer werden, immer eklatanter wird, gibt es auch kein Zugehörigkeitsgefühl mehr. Ob die neue Regierung unter Hollande das ändern kann, wissen nur die Götter.

Wie sehr freut es Sie, dass die Bayern-Fans dem Muslim Ribéry, der vor jedem Spiel zu Allah betet, zujubeln?

Wunderbar! Ich finde es grandios, dass die Leute wenn Deutschland gewinnt, auch einem Özil – einem Türken – zujubeln, einen Boateng, einen Khedira feiern. Es ist toll, dass man nicht mehr wie Holger Badstuber aussehen muss, um als Deutscher anerkannt zu werden. Dadurch zeigen die Fans, dass sie alle Anti-Sarrazzins sind. Die Spieler mit einem Migrationshintergrund sind nun ein Teil der deutschen Nationalmannschaft, das ist wunderbar.

Ex-Bundespräsident Christian Wulff sagte, dass der „Islam zu Deutschland gehört“, sein Nachfolger Joachim Gauck hat das relativiert.

Gauck hat sich da vergaloppiert. Auch ein Gauck, den ich sehr schätze, kann mal Unsinn sagen. Wenn Muslime zu Deutschland gehören, dann muss auch der Islam dazu gehören. Im Guten wie im Böse. Ich sage nicht, dass da alles gut ist, das ist es nicht. Aber es ein Fakt, mit dem man arbeiten kann und muss.

Sie waren immer ein Fan von Uefa-Präsident Michel Platini, Sie haben sogar die „Allianz gegen Franz“ ins Leben gerufen, um Franz Beckenbauer als Uefa-Boss zu verhindern. Hat Platini Ihr Erwartungen erfüllt? Er eiert bei gewissen Themen doch gewaltig rum, etwa bei Aussagen zu der politischen Lage in der Ukraine.

Platini versucht einerseits mit den ganzen Finanzregulierungen der Entwicklung, dass nur noch die Reichen gewinnen können, entgegen zu wirken. Auf der anderen Seite wendet er sich gegen eine Politisierung der EM, weil ja auch die Ukraine Wähler für ihn sind. Da ist er schon manchmal etwas widersprüchlich. Aber im Großen und Ganzen bringt er mehr als Beckenbauer es kann, weil er die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten angeht. Beckenbauer könnte das mit seinen ganzen Verquickungen in die Wirtschaft ja nicht.

Wie sehen Sie denn die Situation in der Ukraine? Soll man sich da à la Platini auch raushalten, wenn es um die politische Umstände geht?

Ich finde, die Menschen sollten sich mit orangefarbenen Schals und Shirts schmücken, aber eben nicht das Orange Hollands, sondern der Ukraine.

Die Farbe war das Symbol der friedlichen Demokratiebewegung im Jahre 2004 in der Ukraine.

Richtig. Die Menschen sollten so geschmückt in die Stadien gehen. Man sollte so politisch demonstrieren, man sollte sich so mit den Menschen in der Ukraine vermischen. Man soll die EM nutzen, Fußball zu schauen, aber gleichzeitig seine Abneigung gegen diese Regierung und ihre Repressalien gegen das eigene Volk zeigen. Wenn ein paar Politiker nicht zur EM gehen, ist das auch nicht schlimm. Die Menschen werden nicht weinen, wenn sich weniger Politiker auf der Tribüne tummeln.

 

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