Schwule Fußballer: Outing oder Doppelleben?
Mario Weiße ist Chef des schwulen Fanklubs „Queerpass Bayern”. Hier spricht er über Pacults Entgleisung und homosexuelle Fußballer
AZ: Herr Weiße, trifft es Sie, wenn Sie jemand im Stadion „schwule Sau” nennt?
MARIO WEISSE: Irgendwo schon. Auf der anderen Seite gehe ich mit dem Thema viel zu offensiv um, als dass es mich wirklich verletzt. Ich kenne aber genügend Schwule und Lesben, die so etwas in ihrer Selbstachtung zurückwirft und die dann sagen: „Ne, ich hab’ keinen Bock mehr, ins Stadion zu gehen.”
Peter Pacult, Trainer bei RB Leipzig, soll einen St.PauliFan so genannt haben. Der habe vorher zu ihm „schwuler Österreicher” gesagt...
Wenn so ein Spruch von einem Trainer kommt, ist das was anderes, hat eine andere Schlagkraft. Sowas geht halt nicht. Da kann man sich im Nachhinein nicht hinstellen und sagen: „Im Eifer des Gefechts sind da wohl die Worte gefallen...” Da muss ich mich in so einem Moment zusammenreißen. Ich kann bei mir in der Arbeit auch nicht alles sagen, was ich gerade über einen anderen denke. Das ist Professionalität.
Was bedeutet so ein Fall für Ihren Fanklub „Queerpass Bayern”, der sich gegen Homophobie engagiert?
Es ist eine Bestätigung, dass unsere Arbeit noch lange nicht getan ist. Dass die Aktionen, die von uns oder seitens des DFB laufen, noch nicht ausreichend sind. Das wirft uns aber nicht zurück. Wir müssen darüber sprechen, aufklären, sensibilisieren. Früher war es im Stadion gang und gäbe, Ausländer zu beschimpfen. Würde ein Trainer einen Fan als „Scheiß Ausländer” bezeichnen, dann wird er ziemlich sicher entlassen. In diese Situation muss man auch kommen, wenn es um sowas wie „Schwule Sau” geht. Das kann man im Jahr 2012 nicht mehr vor sich hinsagen.
Warum ist man beim Thema Homophobie noch nicht so weit wie beim Rassismus?
In den 90er Jahren haben in Deutschland Asylantenheime gebrannt, da ist zu viel passiert. Oder anders gesagt: Bei uns ist zu wenig passiert. Ich fordere deshalb aber keinen schwulen Märtyrer. Das muss anders gehen.
So weit ist man aber noch nicht: „Schwule Sau” ist Standard im Stadion.
Entweder „Schwule Sau” oder „Schwuchtel”, als Schimpfwort. Wie auch „Zick zack Zigeunerpack”. Mir dreht’s da den Magen um, wenn ich das bei uns in der Kurve höre.
Was sagen Sie, wenn ein Fan mit so einem Spruch kommt?
„Sag’ halt Arschloch!” Wenn man sagt, dass man selber schwul ist, heißt es meistens: „Ich hab’ ja gar nichts gegen Schwule.” Aber es sind nicht alle Schwulen so souverän. Es gibt welche, die arbeiten unter der Woche bei der Bank, verstecken ihre Homosexualität und leben sie am Wochenende aus, zum Beispiel im Stadion.
Kürzlich gab es im Dortmund-Block ein Transparent mit der Aufschrift: „Lieber ’ne Gruppe in der Kritik als Lutschertum und Homofick”.
Zuerst war ich schockiert. Aber es wurde maximal eine Minute hochgehalten, dann gab es eine Selbstreinigung im Block und die Plakat-Halter wurden gedrängt, das runterzunehmen. Das war ja ein Angriff auf Bremer Ultras, die einigen Dortmundern Rechtsradikalismus vorhalten. Viele Werder-Ultras engagieren sich in Sachen Antidiskriminierung. Das meinten die mit „Lutschertum”. Jetzt ist es so gekommen, wie ich es befürchtet habe: es gibt Stadionverbote. Besser wären Sozialstunden in einem schwul-lesbischen Projekt gewesen.
Wie erkennt man, ob ein Fußballfan schwul ist?
Gar nicht. Wir gehen nicht im Abendkleid und High Heels ins Stadion, sondern mit Kapuzenpulli und Turnschuhen.
Gibt es schwule Fußballer?
Ich war noch mit keinem im Bett. Statistisch muss es die geben, auch in der Bundesliga.
Geoutet hat sich aber noch keiner, im Gegensatz zur Politik oder dem Showgeschäft.
Den Quotenschwulen gibt es überall, außer im Fußball. Wobei man sich Hape Kerkeling oder Guido Westerwelle schwer bei einer Blutgrätsche vorstellen könnte.
Aber dafür betonen immer wieder Profis, dass sie nicht schwul sind.
Komischerweise immer dieselben, die auch dazu raten, dass sich ein schwuler Fußballer nicht outen sollte.
Würden Sie dazu raten?
Das muss jeder selbst entscheiden. Es ist schon ein Unterschied, ob sich ein Bundesligaspieler outet oder jemand aus der vierten Liga in Schweden. Aber einfacher wäre es, wenn es fünf Fußballer gleichzeitig tun würden. Das Medieninteresse wäre riesengroß und würde sich so verteilen. Ein anderer Vorteil wäre auch, dass die gegnerischen Fans einen Schwulen nicht so einfach auspfeifen würden, weil sie vermutlich selber einen in ihren Reihen haben.
Gibt es Ihrer Meinung nach auch homosexuelle Profis, die mit einer Scheinehe den Menschen eine heterosexuelle Beziehung vorgaukeln?
Ja, die Leute wollen das auch so, diese „heile Welt”. Wobei so etwas wahnsinnig viel Kraft erfordert, um nicht entlarvt zu werden. Ich kann niemanden zum Outing zwingen. Wenn ein Fußballer glücklicher mit einem Doppelleben ist, ist das seine Sache.