Schade, Cristiano! So schön leidet Ronaldo
Eigentlich wollte Cristiano Ronaldo der große Star der EM werden und mit Portugal den ersten Titel gewinnen. Doch nach dem Elfmeter-Drama gegen Spanien ist das Turnier für ihn vorbei. Trotzdem bekamen er und sein Team viel Anerkennung. Sie sind jetzt „Portugals Stolz“.
Donezk – Im ersten Moment nach dem bitteren EM-Aus wäre Cristiano Ronaldo am liebsten allein gewesen mit sich und seiner Enttäuschung. Der Superstar der Portugiesen stand mitten in einem brodelnden, vollen Stadion neben lauter genauso am Boden zerstörten Kollegen, aber sein Blick ging an allen vorbei ins Leere. Ronaldo schien nicht einmal zuzuhören, als nacheinander sein Mitspieler Custodio, sein Trainer Paulo Bento und Portugals Fußball-Idol Joao Pinto kamen, um ihn zu trösten. Nach einem kurzen Winken Richtung Fans verschwanden er und Fabio Coentrao als erste in der Kabine.
„Ich zeige in solchen Momenten immer meine Gefühle“, sagte der 27-Jährige nach dem 2:4 im Elfmeterschießen des EM-Halbfinals gegen Spanien. „Das ist nicht fair und immer frustrierend, auf so eine Weise zu verlieren. Elfmeterschießen ist wie eine Lotterie.“
Der teuerste Spieler der Welt war zu diesem Turnier gereist, um auch der beste Spieler der EM zu werden und endlich den ersten Titel mit der Nationalelf zu gewinnen. Von daher war Portugals Scheitern in Donezk auch Ronaldos Scheitern. Nichts brachte das besser zum Ausdruck als die bittere Pointe auf seine turbulente EM, dass der vermeintlich wichtigste Schütze in diesem Elfmeterschießen gar nicht mehr zum Zug kam. Hilflos musste der Torjäger von Real Madrid mit ansehen, wie erst Bruno Alves verschoss und dann Cesc Fabregas alles klarmachte für Spanien. „Ich war als fünfter Schütze vorgesehen. Die Entscheidung fiel leider schon vorher. Das ist Schicksal“, sagte er.
Dass aber sowohl Portugals als auch Ronaldos EM-Mission nicht als große Enttäuschung in die Fußball-Geschichte eingehen werden, zeigen allein die Reaktionen in der Heimat. Die Sportzeitung „A Bola“ druckte auf der Titelseite ein riesiges Foto von der Mannschaft, das sie beim Mitfiebern während des Elfmeterschießens zeigt. „Orgulho de Portugal“ steht in dicken Lettern darunter – „Portugals Stolz“.
Auch Ronaldo brauchte nur eine Dusche, einige emotionale Worte von Trainer Bento („Wir verlassen den Platz mit erhobenem Haupt“) und eine knappe Stunde Abstand, um dieses Halbfinal-Aus zu verdauen. Als er mitten in der Nacht auf dem Weg zum Mannschaftsbus an den wartenden Journalisten vorbeikam, wirkte er schon wieder deutlich aufgeräumter und selbstbewusster als nach dem letzten Elfmeter.
„Ich denke, dass wir stolz auf uns sein können“, sagte auch er. „Ich hatte zwar auf etwas mehr gehofft bei diesem Turnier. Aber dazu fehlte uns nur das Glück. Ich bin sehr glücklich darüber, wie die Mannschaft, der Trainer und sein Team hier zusammengearbeitet haben.“
Sätze wie diese, sein gesamtes Auftreten und auch die Reaktionen darauf zeigen, dass Ronaldo in Polen und der Ukraine zwar keinen Titel, dafür aber eine Menge Anerkennung gewonnen hat.
Der Superstar ist gerade dabei, sich ein wenig von der Diva in Richtung Teamplayer zu entwickeln, und so haben bei dieser EM sowohl er als auch die gesamte „Seleccao“ alle Vorurteile widerlegt, die über sie im Umlauf waren. Wer die Portugiesen gegen Spanien fighten und diszipliniert verteidigen sah, wird nicht mehr ernsthaft behaupten können, dass es sich bei ihnen nur um einen zerstrittenen Haufen aus einem isolierten Star und ein paar restlichen Statisten handelt. Ronaldo selbst hat dazu noch die beißende Kritik nach seinen Auftritten gegen Deutschland und Dänemark weggesteckt – und Portugal danach fast im Alleingang in dieses Halbfinale geschossen.
Allein deshalb war die EM für ihn kein Fiasko. Der 27-Jährige war immer auch mit dem Ziel angereist, weitere Argumente für die ersehnte Wahl zum Weltfußballer des Jahres zu sammeln. Und seine drei Tore sowie das knappe Scheitern am Welt- und Europameister haben diese Aussichten nicht verschlechtert.
„Cristiano Ronaldo ist ein außergewöhnlicher Profi. Meiner Meinung nach wird er den Goldenen Ball in diesem Jahr gewinnen“, sagte der frühere Nationaltrainer und heutige Verbandsfunktionär Humberto Coelho am Donnerstag nach der Rückkehr der Portugiesen nach Lissabon. „Niemand trainier härter als er, er ist ein Leader auf dem Platz und außerhalb des Platzes.“ Und was meint der Superstar selbst dazu? „Ich bin zufrieden mit der letzten Saison“, sagte Ronaldo, bevor er in den Mannschaftsbus stieg. Und bei aller Enttäuschung über den bitteren Verlauf des Halbfinals war dabei sogar schon wieder ein Augenzwinkern bei ihm zu sehen.