Interview

Ruud Krol im AZ-Interview: "Argentinien hat Messi. Sonst nichts!"

In der AZ spricht der zweimalige WM-Finalist und ehemalige Elftal-Kapitän Ruud Krol über das aktuelle Viertelfinale gegen die Südamerikaner - und erklärt, welches Gegentor ihm noch heute den Schlaf raubt.
Florian Kinast |
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Titeltraum geht weiter - oder Ende Legende: Lionel Messi.
Titeltraum geht weiter - oder Ende Legende: Lionel Messi. © picture alliance/dpa/AP

AZ-Interview mit Ruud Krol: Der ehemalige Innenverteidiger (73) verlor mit Holland die WM-Finals 1974 gegen Deutschland und 1978 gegen Argentinien.

AZ: Herr Krol, Sie standen mit Holland zweimal in einem WM-Finale, 1974 und 1978. Welche Niederlage fühlt sich noch heute schlimmer an?
RUUD KROL: Eindeutig 1974. Wir hatten mit unserem Totalen Fußball ein überragendes Turnier gespielt und die Fans begeistert, wir waren so siegessicher. Aber leider kamen dann im Endspiel zwei Dinge zusammen. Zum einen erwischten wir selbst den schlechtesten Tag der gesamten WM - und Sepp Maier den besten seiner gesamten Karriere. Was er in der zweiten Halbzeit an Bällen hielt, so etwas habe ich bei ihm davor und danach nie gesehen.

Kapitän und Abräumer: Ruud Krol im Finale 1978 gegen Daniel Bertoni.
Kapitän und Abräumer: Ruud Krol im Finale 1978 gegen Daniel Bertoni. © imago images/Sportfoto Rudel

Traumatische Niederlage gegen Deutschland

Und dann war ja noch das entscheidende Tor von Gerd Müller. Verfolgt Sie die Szene manchmal noch im Traum?
Das nicht. Aber ich habe sie noch lebhaft im Kopf. Bonhof kommt über unsere linke Seite, Müller stoppt seine Hereingabe, eher unsauber, trifft den Ball dann gar nicht richtig und schiebt ihn mir durch die Beine. Und unser Torwart macht keine gute Figur, weil er auf dem falschen Fuß steht und auch insgesamt nicht die großen Reflexe hatte. Jan Jongbloed war leider kein Sepp Maier. Jedenfalls war diese Szene ein typischer Müller. Solche Tore konnte nur er schießen. Er war ein Phänomen.

Und Argentinien 1978 tat nicht mehr so weh?
Die ganze WM fühlte sich ganz anders an. In Deutschland 1974 konnten wir jeden Tag raus aus unserem Teamhotel in Münster zum Shoppen in die Stadt oder mal auf einen Kaffee. Es war ein freies Leben, wie wir es auch zuhause nicht anders kannten. Argentinien dagegen war ein Gefängnis. Unser Quartier lag abgeschottet weit oben in den Anden, und weil auf der Südhalbkugel Winter war, war unser Platz oft tiefgefroren. Fuhren wir runter zum Training nach Mendoza, begleiteten uns Soldaten im Bus mit Maschinengewehren im Anschlag, vorne und hinten je zwei Militärfahrzeuge. Große Freude kam da nicht auf. Ich fühlte mich wie in einer Kaserne. Wir waren nur froh, als wir wieder nach Hause konnten.

Dazu standen Sie im Fokus, als die juntanahe Zeitung "El Grafico" plötzlich einen angeblichen Brief von Ihnen veröffentlichte.
Einen gefälschten Brief an meine Tochter, in dem ich mich begeistert zeige vom Land und seiner Regierung. Natürlich hatte ich das niemals so geschrieben, ich fand es ja fürchterlich dort. Der Brief wurde zudem veröffentlicht, als wir noch gar nicht in Argentinien angekommen waren. Was für eine schreckliche Lüge.

"Ohne der richtigen Musik war die WM verloren"

Stimmt eigentlich die Geschichte vom Drama um die verlorene Musikkassette im Mannschaftsbus?
Ja. Auf der Fahrt zu jedem Spiel legte unser Busfahrer immer das gleiche Tape ein. Mit Musik von "The Cats", einer Band aus Volendam, die uns bei der WM 1974 bei einem Überraschungsbesuch ein Exklusivkonzert im Teamhotel gab. Seitdem waren wir alle große Fans. Jedenfalls hörten wir immer bei der Busfahrt zum Stadion die Kassette und sangen lauthals mit, wir kannten die Texte ja auswendig. Doch ausgerechnet auf der Fahrt von unserem Hotel zum Finale im Estadio Monumental war die Kassette verschwunden. Der Busfahrer suchte und suchte und fand sie nicht mehr. Und so herrschte Totenstille. Sie können sich vorstellen, für Fußballspieler wie wir, die erfahrungsgemäß abergläubisch sind und an Ritualen hängen, war das ganz schlimm. Die Kassette ist nie mehr aufgetaucht.

Bringt Katar den Titel?

Als die Niederlande 2010 zum dritten Mal in ein WM-Endspiel einzog, sagten Sie: "Die Geschichte schuldet uns den Titel." Spanien gewann 1:0. Löst die Geschichte nun in Katar ihre Schuld endlich ein?
Ich hoffe es, mehr noch, ich bin fest davon überzeugt, dass wir diesmal den Pokal gewinnen. Das Viertelfinale am Freitag wird schwer, aber Argentinien hat nicht mehr die Qualität von 2014. Was sie haben, ist Messi. Sonst nichts. Wir spielen einen sehr disziplinierten Fußball, und wir werden immer stärker, wir wachsen von Spiel zu Spiel.

Ein Verdienst von Louis van Gaal, dem aber viele noch immer das verlorene Halbfinale gegen Argentinien 2014 wegen seiner letztlich falschen Strategie ankreiden.
Er ist sehr intelligent. Er hat sicher aus 2014 gelernt. Wenn er den Titel holt, dann setzt er sich ein Denkmal und wird zu einer unsterblichen Legende.

Große Kritik an Katar, Wirtschaft bricht ein

Wie groß ist denn die Euphorie in den Niederlanden überhaupt?
Sehr überschaubar. Die Kritik an Katar als Gastgeber war wie in Deutschland auch sehr groß. Unsere Wirtschaft bereitet uns zudem Sorgen, vielen ist nicht zum Feiern zumute. Jetzt im Viertelfinale gibt es in Amsterdam immerhin mal Großleinwände fürs Public Viewing. Bis zum Endspiel wird sich die Begeisterung aber sicher noch steigern.

Sie sagten, das Team wird mit jedem Spiel stärker, das war früher ja das Charakteristikum einer einst berüchtigten Turniermannschaft. Ist Holland das neue Deutschland?
Es gibt durchaus Ähnlichkeiten.

Überraschung über Deutschlands Ausscheiden

Herrscht in den Niederlanden eigentlich Schadenfreude über das erneut frühe Aus des Erzrivalen?
Gar nicht. Wir waren nur überrascht über das Scheitern in der Vorrunde. Entsetzt war ich über die Fehler in der Abwehr. Die Defensive war doch immer Deutschlands große Stärke. Gefürchtet in aller Welt. Und jetzt? Da ist nichts mehr, da fehlt es deutlich an Qualität. Wenn ich diesen Süle sehe, hat Deutschland wirklich keine besseren Verteidiger? Natürlich muss Mister Flick entscheiden, wen er aufstellt. Aber so ein naives Abwehrverhalten wie gerade gegen Japan oder Costa Rica, ich war schockiert.

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Wie hat sich das deutsch-niederländische Verhältnis überhaupt entwickelt? 1974 herrschte keine 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein tiefes Zerwürfnis. Ihr Mitspieler Wim van Hanegem hatte in der deutschen Besatzung viele Familienmitglieder verloren, Ihr eigener Vater Kuki war im Widerstand im Untergrund, rettete vielen Juden in Amsterdam das Leben.
Diese Geschichten kamen damals gerade vor dem Endspiel durch die Journalisten wieder auf. Ich selbst empfand es nie als Feindschaft. Es war für mich nur eine sportliche Rivalität, mehr nicht. Und doch sind die Generationen unserer Kinder zum Glück nicht mehr so belastet. Sie können als Freunde aufwachsen.

In zwei Jahren ist die EM in Deutschland, genau 50 Jahre nach der WM. Wie wäre es mit einer Neuauflage des Endspiels von München 1974? Nur mit anderem Ausgang?
Nichts dagegen, das nehme ich sofort. Aber erst einmal holen wir den WM-Titel.

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