Rekord-Schiedsrichter Felix Brych aus München: Meine Frau behielt wegen meines Jobs ihren Mädchennamen
AZ: Herr Brych, am Samstag stellen Sie mit der Leitung der Partie Eintracht Frankfurt – VfB Stuttgart die bisherige Schiedsrichter-Bestmarke von Wolfgang Stark aus dem Jahr 2017 ein: Sie pfeifen nun ebenfalls die 344. Bundesliga-Partie. Das Rekordspiel nach 19 Jahren – wie viel Anspannung ist dabei oder waren Sie am 28. August 2004 bei Ihrer Liga-Premiere doch nervöser?
FELIX BRYCH (48): Tatsächlich war ich damals ziemlich angespannt und am Ende glücklicher als vor dem Anpfiff (lacht). Weil es vorbei und gut gelaufen war, was für mich sehr wichtig war. Denn: Wenn dein erstes Spiel nicht so läuft wie gewünscht, stehst du beim zweiten mehr unter Druck. Die Partie hatte die große Bedeutung für mich, nun ein Teil der Bundesliga zu werden. Ich hatte darauf hingefiebert, weil ich in jenem Sommer in die Bundesliga aufgestiegen war, und am dritten Spieltag war ich dran. Der Rekord nun bedeutet mir sehr viel, weil er mein langes Leben als Schiedsrichter ausdrückt – darauf bin ich sehr stolz. Daher werde ich am Samstag auch etwas angespannter sein als sonst – es ist ein besonderes Spiel.
Felix Brych: "Vielleicht habe ich noch zwei Jahre im Köcher"
Aus Ihrem im April erschienen Buch "Aus kurzer Distanz" liest sich heraus, dass es mit all Ihrer Erfahrung mittlerweile angenehmer ist, Spiele zu leiten, als zu Ihren Anfängen.
Natürlich. Ich denke, dass ich dank meiner Routine und meines Namens einen kleinen Kredit bei den Spielern und Trainern habe, diese Akzeptanz muss ich mir aber auch jedes Mal neu erarbeiten. Mittlerweile wird der Spaß im Vergleich zum Druck und zur Last der Verantwortung immer größer.
Wie lange soll die Reise denn noch gehen? Wir sind derselbe Jahrgang, also kann ich schon beurteilen, wo es hin und wieder zwickt – obwohl ich natürlich längst nicht so fit bin...
(lacht) Mir macht es aktuell richtig viel Spaß eben, weil ich gesund und fit bin. Klar fehlt etwas die Spritzigkeit, aber ich habe meinen Körper stets ziemlich gut gepflegt. Es ist schon mein achtes Spiel in dieser Saison. Ich freue mich einfach sehr, noch dabei zu sein, und bin happy, so lange durchgehalten zu haben. Vielleicht habe ich noch zwei Jahre im Köcher, dann möchte ich meine Erfahrung und mein Wissen in einer anderen Position weitergeben.
Felix Brych: Trikots von Stars gab es erst nach vielen Jahren
Noch bevor Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe das Ende der Altersbegrenzung vor Gericht gegen den DFB erstritten hatte, konnten Sie mit den Schiedsrichter-Bossen eine Absprache treffen.
Richtig. Wir haben vereinbart, von Jahr zu Jahr zu schauen. Wenn ich fit bleibe und meine Leistung bringe, kann ich weiter pfeifen.
Sie sind seit 2007 Fifa-Schiedsrichter, haben bei Welt- und Europameisterschaften gepfiffen, wurden 2017 und 2021 Weltschiedsrichter des Jahres. Haben Sie in Ihrer Karriere mal Trikots von Spielern erbeten oder getauscht?
Erst gegen Ende, da meine Devise war, immer eine gewisse Distanz zu den Spielern zu halten, auch privat keinen Kontakt aufzubauen. Trikots habe ich etwa von Juan Mata, den ich oft gepfiffen habe, ob bei Chelsea oder Manchester United. Auch von Giorgio Chiellini von Juventus Turin, zu dem ich stets ein gutes Verhältnis hatte.

Welches der über 800 Spiele Ihrer Karriere würden Sie gerne noch einmal pfeifen?
Überhaupt keins. Aus den schlechten habe ich stets wahnsinnig viel gelernt, zum Beispiel das mit dem Phantomtor von Stefan Kießling 2013, das ich leider gegeben habe. Und die guten – wie etwa das Halbfinale bei der EM 2021 Italien gegen Spanien – möchte ich auf keinen Fall noch einmal anpacken und dann womöglich beschädigen.
Felix Brych über private Folgen von Fehlentscheidungen: "Es war keine schöne Zeit"
Über welche Nominierung oder Ehrung haben Sie sich am meisten gefreut?
Ich war 2017 bei der Klub-WM in Abu Dhabi, schaue nach dem Aufwachen in mein Mail-Postfach und sehe, dass ich Weltschiri bin. Das kam für mich völlig aus dem Nichts, unglaublich. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen.
Es gibt auch die unschönen Seiten der Schiedsrichterei. Etwa den Ärger beim WM-Spiel 2018 in Russland zwischen der Schweiz und Serbien oder das Echo nach einer Roten Karte für Ronaldo.
Es war keine schöne Zeit, meine heutige Frau Andrea hat mir sehr geholfen, das alles mental und emotional zu verarbeiten, den Rückhalt gegeben. Ich war damals ziemlich am Boden, wusste nicht, ob ich noch einmal die Chance bekommen werde. Vor unserer Hochzeit hat Andrea entschieden, Ihren Mädchennamen behalten zu wollen, um sich damit am Telefon melden zu können. Das konnte ich total nachvollziehen.