Polen weint und streitet
Nach dem blamablen Ausscheiden tritt beim Gastgeber der Trainer zurück. Spieler klagen den Verbandsboss an
BRESLAU Es gab genug Szenen an diesem Abend, die keinen kalt ließen. Es war die Nacht der Trauer und Tränen, die Polen erlebte als sein Nationalteam ausschied, ohne ein einziges Spiel zu gewinnen. Die Bilanz war 2008 genauso ernüchternd, aber dieses Mal fand das Drama im eigenen Land statt – und das schmerzte besonders. Der bitteren Nacht folgte ein Morgen der Verwirrung, kritischer Fragen und Abrechnungen.
Wie konnte es ein, dass diese Mannschaft scheitert? Ein Team, in dem Bundesligastars stehen wie Robert Lewandowsky, Jakub Blaszczykowski, erfahrene Profis wie Lukasz Piszczek aus Dortmund, Eugen Polanski aus Mainz und Sebastian Boenisch aus Bremen. Zweieinhalb Jahre lang bereitete sich der EM-Gastgeber auf sein Turnier vor - am Ende stand ein desaströses Ergebnis.
Im Stadion kam der Schmerz binnen Sekunden. Auf dem Rasen sanken die polnischen Spieler kraftlos zu Boden. Lewandowski versteckte sein Gesicht hinter seinen Händen. Blaszczykowski starrte ins Leere. Sie wussten in dem Moment, Polen würde lange brauchen, um den Rückschlag zu verkraften. „Wir müssen all das erst einmal begreifen. Es ist so bitter und hart", stammelte Blaszczykowski. Vergeblich versuchte der Kapitän seine Landsleute mit Pathos aufzumuntern. „Wir danken den Polen für ihre Unterstützung. Wir haben in diesem Turnier viele schöne Momente erlebt, daran müssen wir denken", sagte der Stürmer.
Hatten sich die Polen etwas vorgemacht? Hatten sie der Angst, vor der Welt zu versagen, waren sie an der Erwartungshaltung gescheitert? In keinem Spiel gelang es, zu überzeugen.
Am Tag danach machte dafür ein handfester Kabinenkrach die Runde, losgetreten von Blaszczykowski. „Es kann nicht sein, dass wir vor jedem Spiel um Tickets für unsere Familien bei dem Verband betteln müssen." Die Vorwürfe galten dem polnischen Verbandspräsidenten Grzegarz Lato. „Der Präsident sagt, er habe ein gutes Verhältnis zum Team. So etwas kann ich aber nicht bestätigen. Es gab jedes Mal ein anderes Problem. Herr Lato hat nie sein Wort gehalten."
Randaspekte, die beschreiben, dass der Fokus falsch platzioert war.
Über Nationaltrainer Franciszek Smuda sagten die geschlagenen Nationalspieler kein Wort. Man darf davon ausgehen, dass das von manchem in den kommenden Tagen nachgeholt wird. Smuda sah so blass aus wie alle anderen. Bitter enttäuscht saß der Nationaltrainer hinter den Mikrofonen und rang stockend nach Erklärungen. „Die Mannschaft war zu zurückhaltend, als hätten wir Angst gehabt vor den Tschechen", sagte er. Ratlos und wie gelähmt hatten sie nach dem Sturmlauf reagiert. „Wir waren auf diese Situation nicht vorbereitet. Vielleicht haben wir uns mit allem zu sicher gefühlt. Wir haben überhaupt nicht daran gedacht, was passiert, wenn wir es nicht schaffen. Es gab überhaupt keine Zweifel, dass wir gewinnen. Wir waren über motiviert."
Dann kam die Frage, die auch Smuda erwartet hatte. „Treten Sie zurück?", fragte ein polnischer Reporter. „40 Millionen Polen verdienen eine Erklärung." Smuda ließ sich Zeit mit seiner Antwort und hinterließ dennoch Verwirrung. Nachdem er angedeutet hatte, bleiben zu wollen verkündete der 63-Jährige im Interview mit dem polnischen TV-Sender TVP" seinen Rücktritt: „Das ist zu 100 Prozent das Ende meines Weges. Mein Vertrag läuft mit dem Ende der EM aus." Am einem der bittersten Abende der polnischen Fußballgeschichte, stand Polen auch ohne Trainer da. Oliver Trust
- Themen: