Paul Potts: "Fußball - fast wie Oper"
Hier erzählt Sänger Paul Potts, warum er viele Parallelen zwischen Kicken und Kunst sieht, wieso Engländer beim Elfmeterschießen zu tragischen Helden werden – und wie seine Karriere begann.
AZ: Mister Potts, nachdem Sie 2007 die Casting-Show „Britain's got talent”, dem britischen Äquivalent zu „Deutschland sucht den Superstar” gewonnen haben, sind Sie einer der Vorzeige-Engländer in Deutschland. Hier assoziiert man mit England sonst noch englische Queen, schwarzen Humor, Fünf-Uhr-Tee und sonnenverbrannte Fußball-Fans...
PAUL POTTS: (lacht) Ich muss zugeben, diese Klischees kommen der Wahrheit – oder wie wir uns selber sehen – sehr, sehr nahe. Nur bei einer Sache erhebe ich Einspruch.
Wir hören!
Im Moment ist kein Engländer sonnenverbrannt, das Wetter ist bei uns so schlecht, dass es nicht einmal ein Engländer schafft, einen Sonnenbrand davonzutragen.
Fußball gehört in England zum Lebensalltag.#
Ja, es ist ein gesellschaftliches Ereignis. Man kommt in den Pubs zusammen und schaut Fußball. Das ist ein emotionales Ereignis. Und Emotionen, die man miteinander teilt, sind Emotionen, die einen verbinden, selbst wenn man nicht miteinander redet. Auch ich selber schaue gerne Fußball, aber ich bin kein sportverrückter Mensch. Ich muss zugeben, dass mir der Fußball zuletzt etwas verleidet wurde.
Warum das?
Es passieren zu viele Dinge, die ich menschlich verachte. Ich kann es nicht ausstehen, wenn es Schwalben gibt, wenn man Verletzungen und Fouls vortäuscht, damit der Gegner vom Platz gestellt wird. Das widerspricht für mich der Essenz dieses Spiels. Für mich sind das Betrüger, die entsprechend bestraft gehören. Ich bin dafür, dass ein Spieler, der im Strafraum eine Schwalbe macht, mit einem Elfer bestraft wird – und zwar für den Gegner. Das würde dem Spiel seinen Charakter zurückgeben.
Wie muss man sich Paul Potts als Spieler vorstellen?
Ich war zwar an einer Schule, die sich mehr dem Rugby verschrieben hat, aber ich habe schon Fußball gespielt. Ich war nicht so schlecht, wie manche Leute vielleicht erwarten, wenn sie mich sehen. Ich war ein Spieler, der immer versucht hat, aus unmöglichen Winkeln Tore zu schießen. Mein schönster Moment – und Sie sehen, wie sehr er mich begeistert hat, war – als wir einen Freistoß hatten. Der Ball lag fast an der Torauslinie. Der Keeper hat mich provoziert und gesagt: Du triffst niemals. Nun, er hat sich an diesen Worten verschluckt. Ich zog voll ab – und er lenkte den Ball ins eigene Netz!
Das Singen war für Sie immer eine Flucht, ein Trost.
Ja, für mich war es immer eine Chance, in eine Welt, die ich liebe, abzutauchen. Es gab in der Schule auch einige Schlägertypen, die mir das Leben nicht einfach gemacht haben.
Wäre Englands Stürmer Wayne Rooney vielleicht genau so ein Typ gewesen?
(lacht) Ich verweigere die Aussage.
Dabei gibt es Gemeinsamkeiten: Sie haben sich nach Ihrem Erfolg die schiefen Zähne richten lassen, er hat sich für viel Geld Haare in die Glatze implantieren lassen.
Ja, aber wenn man genau schaut, wird er hinten schon wieder kahl. Er muss wohl nacharbeiten lassen. Bei mir war es so, dass ich mir die Zähne korrigiert habe, weil sie mich schon immer belastet haben. Ich habe mich nie getraut, offen oder aus vollem Hals zu lachen, weil ich befürchtete, dass man dann meine Zähne sieht. Es hat mir das Selbstvertrauen geklaut. Wenn ich das Geld gehabt hätte, wäre ich schon viel früher zum Richten gegangen.
Sie stammen ja aus einer Arbeiterfamilie, wie fanden Sie eigentlich zur Welt der Oper?
Es war, als ich erstmals den Film E.T. gesehen habe, der Soundtrack war klassische Musik. Das hat mich sehr bewegt, ich habe dann mein Taschengeld zusammengekratzt und mir die Platte gekauft. Da war es um mich geschehen. Alle anderen in meiner Altersklasse hörten Heavy Metal oder Rap, ich eben Klassik. Und als mir eine billige Kassette in die Hände fiel auf der José Carreras La Bohème sang, war es um mich geschehen.
Der Münzwurf im Fußball ist wichtig, aber kaum ein Münzwurf war wohl wichtiger als Ihrer 2007.
Das stimmt. Ich habe in meinem Leben oft nicht den Mut aufgebracht, Chancen zu ergreifen. Damals hatte ich mit dem Singen eigentlich schon aufgehört. Ich habe dann die Entscheidung getroffen, dass eine Münze entscheiden soll, ob ich mich bei der Castingshow bewerben soll. Ich wählte Kopf und die Münze fiel so.
Haben Sie die Münze noch?
Leider nein. Ich war so pleite, dass ich sie ausgegeben habe, um mir Essen zu kaufen. Aber ich bin dieser Münze für immer dankbar, wo immer sie auch sein mag. Das Leben hat manchmal mysteriöse Arten, dich zu führen. Ich sehe das so, es gibt viele Straßen, aber wir haben eben keine Straßenkarte. Daher biegt man oft falsch ab – aber manchmal eben auch goldrichtig.
Sie sangen vor der Queen – und auch bei Oliver Kahns Abschiedsspiel, damals das Lied „Time to say goodbye”.
In einer der besten Arenen der Welt für einen der größten Keeper aller Zeiten zu singen, das war eine große Ehre und einer der emotionalsten Momente überhaupt. Für einen Mann zu singen, der gerade die Bühne verlässt, die er so lange geprägt hat, das war ein sehr emotionaler Moment auch für mich. Das sind die Momente, die man sich nicht mit Geld erkaufen, die man nicht mit Gold aufwiegen kann. Momente, in denen man spürt, man ist gerade dabei, wie ein Stück Geschichte passiert.
Sehen Sie viele Gemeinsamkeiten zwischen der Oper und der Fußballbühne?
Ja, beides lebt von der großen Leidenschaft. Sie kann dich erfassen, kann dich wegtragen. Ich bin mir sicher, dass Opernfans und Fußball-Anhänger sehr viel mehr gemeinsam habe als sie sich im ersten Moment selber vorstellen können. Und der Fußball ist ja fast wie eine Oper, er schreibt genug Dramen, die das Zeug für eine Oper haben. Speziell wenn England ins Elfmeterschießen muss und der Gegner Deutschland heißt, das ist schon fast eine klassische Tragödie.
Sie haben auch Philosophie studiert, Ihre Abschluss Arbeit ging um „Die Frage des Bösen und des Leidens in einer von Gott geschaffenen Welt”.
Ich war immer ein Mensch, der sich mit einem Buch in eine Ecke zurückgezogen hat, da war das Studium der Philosophie eine natürliche Weiterentwicklung für einen Geist, der immer gerne Dinge hinterfragt hat.
Ist das Übel im Fußball der Rassismus, der immer wieder nach oben kocht? Gerade in England gab es zuletzt viele Vorfälle – auch um Ex-Kapitän John Terry.
Rassismus ist ganz klar eine Manifestation des Bösen. Es gibt Dinge, die eine Gesellschaft dulden und ertragen muss und es gibt Dinge, bei denen die Gesellschaft die Stirn zeigen und diese Auswüchse bekämpfen muss. Rassismus gehört zu letzter Kategorie. Ich war sehr enttäuscht, dass Uefa-Boss Michel Platini gesagt hat, dass jeder Spieler hart bestraft würde, der das Feld verlässt. Selbst, wenn er zuvor rassistisch beleidigt wurde. Das ist falsch. Fußball hat eine Verantwortung nicht nur dem Sport, sondern auch der Gesellschaft gegenüber, Rassismus in seinen Wurzeln zu bekämpfen. Die Tatsache, dass heutzutage farbige Spieler immer noch mit Affenlauten verunglimpft werden, zeigt, das wir in der Evolution nicht so weit fortgeschritten sind, wie wir uns gerne einreden. Manchmal ist die Steinzeit näher als wir denken.
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