One Love? No Love – das Bindenfiasko

Das Nachmittagstraining der Nationalelf hatte gerade begonnen im Stadion des Erstligisten Al Shamal SC, da schritt DFB-Präsident Bernd Neuendorf zu Manuel Neuer herüber. Ein kurzer Plausch, man kann sich denken worüber, dann klopfte Neuendorf dem Kapitän aufmunternd auf die Schulter.
Entschluss der beteiligten europäischen Nationen: Verzicht auf "OneLove"-Armbinde
Zuvor hatte die Bühne auf dem Rasen an einer der Eckfahnen Neuendorf und DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff gehört, die beinahe zeitgleich zum Anstoß des Vorrundenspiels England gegen den Iran zu einer improvisierten Pressekonferenz geladen hatten.
Nach einem stressigen Tag voller Gespräche und Telefonate stand der gemeinsame Entschluss der beteiligten europäischen Teilnehmer-Nationen um den DFB, England, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Wales (Frankreich war bereits vorher ausgeschert), auf die bunte Armbinde mit dem Aufdruck "OneLove" doch zu verzichten.
"Beispielloser Vorgang in der WM-Geschichte"
Im Kampf um ihre selbst gestaltete Kapitänsbinde musste man sich dem - von den Verantwortlichen als erpresserisch empfundenen - Druck des Weltverbands beugen.
Für Neuendorf handelte es sich "um eine Machtdemonstration der Fifa", er sprach in dem Zusammenhang von einem "beispiellosen Vorgang in der WM-Geschichte" und einem "weiteren Tiefschlag", sagte: "Die Fifa hat eine Aussage für Diversität und Menschenrechte untersagt. Das sind Werte, zu denen sie sich in ihren eigenen Statuten verpflichtet."
"Konfrontation werden wir nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen"
Neuendorf zu den Beweggründen für den Verzicht: "Die Drohung von sportlichen Konsequenzen war eindeutig." Aber inhaltlich nicht. Gelbe Karten? Auch gegenüber dem DFB blieb der Weltverband unkonkret. Um die Mannschaft nicht weiter mit dem Thema zu belasten und Neuer die Gefahr von Verwarnungen zu nehmen, die zu einer Sperre führen könnten, begründete der 61-Jährige die Rolle rückwärts so: "Die von der Fifa herbeigeführte Konfrontation werden wir nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen."
In einer gemeinsamen Stellungnahme der europäischen Verbände hieß es: "Wir waren willens, Geldstrafen zu zahlen, die normalerweise bei Verstößen gegen die Ausrüstungsvorschriften verhängt werden. Wir können unsere Spieler jedoch nicht in die Situation bringen, dass sie verwarnt oder gar gezwungen werden, das Spielfeld zu verlassen."
DFB-Chef weist Vorwürfe zurück
Stattdessen müssen alle Kapitäne, die von der Fifa mit eigens erstellten Botschaften beschrifteten Armbinden tragen. Auf der von Englands Kapitän Harry Kane stand beim 6:2 gegen den Iran "No discrimination". Vorwürfe, der deutsche Verband sei eingeknickt, wies Neuendorf zurück: "Wir stehen zu unseren Werten und werden diese auch weiter während des Turniers vertreten."
Es hagelt Kritik, nicht nur von Menschenrechtsorganisationen
Die erbosten Reaktionen auf das Fifa-Diktat und den Verzicht der Europäer folgten alsbald. Human Rights Watch ließ verlauten: "Selbst diese symbolische Geste der Solidarität mit LGBT-Personen wird von der Fifa und den Behörden in Katar nicht erlaubt. Sie sagen den Spielern im Wesentlichen, dass sie die Klappe halten und spielen sollen."
Deutschlands Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger kritisierte Fifa-Präsident Gianni Infantino ganz direkt auf Twitter: "Infantino hat es sogar geschafft, die Mannschaften zu zwingen, die One-Love-Binde nicht zu tragen. Wie erbärmlich?! Wie wäre es mit Regenbogen-Schnürsenkeln?"
"Das ist echt schwach!"
Aus der Politik hagelte es Kritik am DFB. "Noch ein Grund, nicht zu schauen!", sagte Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) und meinte Richtung DFB: "Das ist echt schwach!"
Die FDP-Politikerin Renata Alt, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, sagte: "Dass der DFB und andere europäische Verbände sich dem Druck der Fifa unterwerfen und die One-Love-Binde nicht länger tragen werden, ist enttäuschend. Dass die Fifa aber mit Punktabzug für ein derartiges Bekenntnis zu Menschenrechten gedroht hat, ist skandalös. Menschenrechte sind universell gültig und keine politische Botschaft!"