Olsen: "Der dänische Weg: Kreativität und Freiheit"

Hier erklärt Trainer Morten Olsen, wieso das kleine skandinavische Land auch diesmal bei der EM für Furore sorgt.
Interview: Oliver Trust |
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Herr Olsen, Ihr Mittelfeldspieler William Kvist meinte augenzwinkernd, im letzten dänischen Gruppenspiel gegen Deutschland – also nach den Partien gegen die Niederlande und Portugal – ginge es um Platz eins oder zwei.

MORTEN OLSEN: Das war sicher ein Spaß, er macht gerne Späße.

Ihnen würde diese Aussicht nicht gefallen?

Wir sind gerne Zünglein an der Waage. Aber wie er das gesagt hat, zeigt die Art, wie wir an dieses Turnier und diese Gruppe ran gehen.

Auf die lockere dänische Art als krasser Außenseiter?

Das ist die kluge Mentalität eines Underdogs. Wir sind ein kleines Land mit Fußball-Tradition. 1984 waren wir das erste Mal bei der EM, nur 2008 nicht und 1992 nur auf Grund politischer Umstände (Ausschluss Serbiens, d.Red). Das ist eine tolle Bilanz für ein kleines Land. Underdog zu sein, macht uns nicht grundsätzlich etwas aus, weil wir darin kein grundsätzliches Problem sehen. Wir haben die Einstellung, das Beste daraus zu machen.

Es gibt keinen dänischen Minderwertigkeitskomplex?

Dänemark hat immer davon gelebt, was bei den Leuten zwischen den Ohren sitzt. Auch Fußball ist Denksport, nicht nur Laufsport. Wir sind überzeugt, Kreativität und Intuition ist gleich Freiheit, da waren die Dänen immer gut.

Der Freiheitsgedanke als Grundlage für Erfolg?

Der damalige Nationaltrainer Sepp Piontek warb in den 80er Jahren das erste Mal für Disziplin und Organisation unter den dänischen Individualisten. Wir haben damals eingesehen, ohne Organisation gibt es keine Freiheit, jeder muss Teamplayer sein, egal wie gut er als Individuum ist.

Also spielt Dänemark doch nach einem Schema?

Im Gegenteil. Wir haben weiter das starke Gefühl, wir müssen frei und kreativ sein. Das gehört zum dänischen Wesen. Dänen sind keine Leute, die starr nach dem oder dem Weg gehen. Wir können nicht spielen wie der FC Barcelona oder strikt immer nach einer bestimmten Taktik. Wir müssen flexibel sein und uns nach dem Gegner richten.

Flexibel zu sein, ist also sehr dänisch?

Auch in anderen Lebensbereichen hat sich die Haltung entwickelt, man will nicht nur Gewinner sehen, sondern Kreativität im Rahmen der Möglichkeiten. Die Leute mussten an den dänischen Weg glauben und lernen, Vertrauen zu haben, selbst, wenn wir damit verloren haben.

Deshalb ist Dänemark 1992 Europameister geworden?

lacht) Ja, ja, vom Campingplatz weg. Aber diese Art, zuerst einmal ansehnlich spielen zu wollen, gibt es auch woanders, was mich in dem Fall positiv überrascht hat.

Das müssen Sie uns erklären!

Ich denke an die WM 2006. Da hat man in Deutschland akzeptiert, nicht gewonnen zu haben. Man hat gleichzeitig gesagt, wir haben guten Fußball gespielt, aber es gibt andere gute Teams wie Spanien. Das war neu in Deutschland. Es hat nicht nur eine Rolle gespielt, zu gewinnen, sondern es ging um die Art des Fußballs. Das hat mich gefreut. Das war anders als früher, da hat man versucht, zu Ergebnissen zu kommen – egal wie.

Früher haben Sie den deutschen Fußball kritisch gesehen?

Zu meiner Zeit als Spieler in Köln war ich großer Kritiker der Ausbildung in Deutschland. Jeder hat gesagt: Halt die Klappe, du verdienst hier dein Geld! Heute verlässt man sich nicht mehr auf die hohe Wahrscheinlichkeit, dass unter 85 Millionen Menschen gute Fußballer sind, sondern man bildet sie bewusst aus.

Was denken Sie über Ihre drei EM-Gegner?

Robin van Persie ist Top-Scorer in der Premier League. Klaas-Jan Huntelaar Top-Scorer in der Bundesliga, gefolgt von Gomez. Ronaldo ist Top-Scorer in Spanien. Das ist für uns Dänen schon ein heißes Ding. Und noch etwas...

... bitte!

Wenn Klose verletzt ist, spielt Gomez. Wenn van Persie nicht spielt, kommt Huntelaar. Wir hoffen, dass sich Nicklas Bendtner nicht verletzt. Aber, auch das kann ich sagen, wir fahren sicher nicht als Sparringpartner zur EM.

Gibt es eine echte Chance auf ein Weiterkommen?

(lacht) Keine Verletzten, die Spieler müssen über ihre Grenzen gehen, alle Schiedsrichter-Entscheidungen für uns – und dazu jede Menge Glück.

Dazu ein Trainer, der in die dänische Hall of Fame aufgenommen wurde?

Oh je das. Ich habe nie nach Popularität gestrebt. Sie werden mich nie in einem TV-Quiz oder so etwas sehen.

Eine klischeehafte Meinung im Fußball lautet, man braucht eine Mischung aus Jung und Alt, um einem Team die richtige Balance zu geben.

Das glaube ich nicht. Erstens reifen Spieler schneller als früher – siehe Dortmund. Oder Spanien als Europameister 2008. Früher ging Erfahrung mit 35 los, heute mit 22, weil die Qualität der Ausbildung enorm gewachsen ist. Hierarchie wird anders gelebt.

Und Sie als 62-Jähriger moderieren das Jugendfestival?

Wenn man sich nicht in die junge Generation einleben kann, wenn du nicht weiß, was sie essen, worüber sie sprechen, wenn du nicht die Musik der jungen Spieler hören kannst und sie verstehst, musst du aufhören.

Das heißt Morten Olsen hört HipHop, Rap und R&B?

(lacht) Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, ich habe ein Hörgerät. Das kann ich rausnehmen oder leise drehen, wenn es mir zu viel wird.

Wie versteht man die Musik einer anderen Generation?

Wenn man morgens aufsteht und sagt, früher war alles besser, wird es schwierig. Die Spieler wollen wissen, warum wir das so und so machen und sie machen eigene Vorschläge. Ich wäre dumm, die nicht ernst zu nehmen. Spieler dürfen aber auch wissen, Dinge, die vor 40 Jahren gut waren, können heute noch gut sein.

Ihr Stürmerstar Bendtner gilt als sehr lebendig und hat sich einige „Eskapaden“ geleistet.

Bendtner ist seit sechs Jahren bei uns, aber erst 23 Jahre alt. Er hat einige „Fehler“ gebraucht, um sich zu entwickeln. Früher haben Spieler alles Mögliche getan, bis sie im Fokus der Öffentlichkeit standen. Heute machen sie ab 13, 14 nichts außer Fußball. Es wäre weltfremd, diesen Spielern nicht zuzugestehen, ihren Weg zu suchen. Du kannst nicht einem ein Pflaster über den Mund kleben und erwarten, dass er der gleiche Spieler bleibt. Junge Spieler sollen nicht nur vom Trainer von den Regeln hören, die es in einer Gemeinschaft gibt. Das schafft ein Klima der Akzeptanz. Sie werden überzeugt, wenn sie durch andere Spieler erkennen, Fußball ist Teamsport.

Wer ist Ihr EM-Favorit?

Wenn jede Mannschaft ihre Möglichkeiten ausschöpft, Deutschland oder Spanien.

Und was bleibt für die freiheitsliebenden Dänen?

Wir haben Portugal in der Quali geschlagen. An einem guten Tag. Wir können gegen alle gewinnen, auch gegen Deutschland oder Holland. Man könnte die Gruppe auf den Nenner bringen: Die anderen müssen, wir können.

 

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