Michalczewski: "Wir Polen sind Weltmeisterbesieger"

Der frühere polnische Box-Champion Michalczewski spricht über das Duell seines Vaterlandes gegen seine langjährige Heimat Deutschland. „Egal, wie es ausgeht, ich gehöre auf jeden Fall zu den Siegern!“
Matthias Kerber |
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„Der Sieg gegen die Deutschen war der Hammer“, sagt Box-Ikone Dariusz Michalczewski über das 2:0 in der EM-Qualifikation.
dpa „Der Sieg gegen die Deutschen war der Hammer“, sagt Box-Ikone Dariusz Michalczewski über das 2:0 in der EM-Qualifikation.

AZ: Herr Michalczewski, Polens Fußballer haben die Deutschen in der EM-Qualifikation ja sauber geärgert und sogar besiegt. Was erwarten Sie, der fast seine gesamte Box-Karriere als Pole in Deutschland verbracht hat, von diesem Duell nun bei der EM?
DARIUSZ MICHALCZEWSKI: Eins vorweg: Das ist die beste polnische Mannschaft, die wir seit sehr langer Zeit – vielleicht auch je – hatten. Wir sind alle extrem stolz auf dieses Team. Der Sieg über die Deutschen war der Hammer. Ein großer Moment der polnischen Sporthistorie. Wir, die Polen, als Weltmeisterbesieger. Aber das war die Qualifikation.

Und jetzt?
Jetzt erst zählt es. Jetzt geht’s um den Titel. Ich bin nicht sicher, ob die Mannschaft dem immensen Druck, der auf ihr lastet, standhalten kann. Ich kenne das aus meiner eigenen Karriere als Boxer. Solche Auseinandersetzungen werden zum großen Teil im Kopf entschieden. Die Deutschen sind diese Situationen gewohnt. Umso mehr es geht, desto stärker werden sie. Es ist zwar ein Klischee, aber eines, das stimmt: Deutschland ist eine Turniermannschaft. Polen hingegen hat noch nie etwas bei einem großen Turnier gewonnen, nie die wichtigen Runden erreicht. Ich wünsche es der Mannschaft auf jeden Fall, denn sie haben es sich verdient. Ich bin zumindest guter Dinge, dass wir die Gruppenphase überstehen.

Für wen schlägt denn Ihr Herz, wenn Polen gegen Deutschland spielt?
Meine Freunde lachen schon immer, wenn es zu dieser Partie kommt. Sie sagen dann, Darek, du bist ein Glückskind. Egal, wie es ausgeht, du gehörst auf jeden Fall zu den Siegern. Und so fühle ich mich auch. Ich bin Pole und ich halte auch immer zum Underdog – und das sind die Polen zweifelsfrei in der Partie –, aber Deutschland ist meine zweite Heimat. Ich habe Deutschland sehr viel zu verdanken, ich habe dort so viel gelernt. Fürs Leben, als Mensch. Ich bin für Polen, habe aber definitiv kein Problem damit, wenn Deutschland gewinnen sollte.

Wie stolz ist man in Polen auf Robert Lewandowski, den vielleicht besten Stürmer der Welt?
Er erfüllt uns alle mit Stolz. Ein Pole, der beim FC Bayern spielt, Torschützenkönig der Bundesliga ist, den die besten und renommiertesten Vereine der Welt wollen, das ist Wahnsinn. Ich habe ihn gerade erst vor dem Länderspiel Polen gegen Italien getroffen, Wir hatten sehr viel Spaß miteinander. Ich mag den Typ einfach.

Sie selber waren nicht nur einer der erfolgreichsten Boxer der Welt, sondern auch ein guter Fußballer.
Ja, ich habe Fußball immer geliebt. Schon als Kind. Ich habe auch fünf Mal in der Altherren-Nationalmannschaft gespielt. Zusammen mit Uwe Seeler, Franz Beckenbauer. Ich war eigentlich immer rechter Außenstürmer. Und kann das ganz gut, ja.

Vor vier Jahren fand die EM in der Ukraine und eben Polen statt. Wie sehr haben Sie die Vorkommnisse in der Ukraine danach erschüttert? Das Land versinkt im Bürgerkrieg.
Das ist einfach schockierend. Vor vier Jahren feierte man ein Fest der Freude, der Farben, des Sports, des Miteinanders. Und nun das. Das macht mir Angst. Und ich mache mir Angst um Polen, viele Dinge, die hier in letzter Zeit abgehen, gehen in die falsche Richtung. Ich bete dafür, dass bei uns nicht Ähnliches passiert. Vor vier Jahren waren alle so positiv, haben Visionen gehabt, es war eine Aufbruchstimmung. Und jetzt? Man geht wieder auf die Straße, macht dem Ärger Luft. Ich werde mich zu politischen Dingen nicht äußern, denn ich habe davon keine Ahnung. Ich kann nur darüber reden, was ich als Mensch erlebe, aber das, was ich da zur Zeit sehe, macht mir wirklich Angst.

Sie haben zuletzt für Aufsehen gesorgt, weil Sie, der ja aus der Macho-Welt Boxen stammt, sich in Polen für die Rechte von Homosexuellen stark gemacht haben.
Ich sehe das so: Es interessiert mich einen Sch***dreck, wer mit wem in die Kiste steigt, wer mit wem Sex hat. Das sagt doch nichts über den Menschen aus. Wenn Männer mit Männern schlafen wollen und Frauen mit Frauen: Von mir aus, das ist ihre Privatsache. Aus einem guten Kerl wird kein schlechter, nur, weil er mit einem Mann schläft. Und ein schlechter Typ wird nicht gut, nur weil er es mit Frauen macht. Für mich ist der einzige Gradmesser, ob ein Mensch ein Arschloch ist. Aber nicht, mit wem er Sex hat. Diese Einstellung hat hier viele schockiert, selbst meine Freunde haben mich angeschaut, als sei ich verrückt. Man muss sich nichts vormachen, Polen ist kein tolerantes Land. Es gibt viele Ressentiments. Gegen Schwule, gegen Schwarze, gegen Asiaten, gegen Juden, Moslems. Ich habe meine Toleranz in Deutschland gelernt. Und ich bin stolz drauf. Mich interessiert deine Rasse, deine Hautfarbe nicht – oder deine sexuelle Orientierung. Ich halte es da vollkommen mit dem vielleicht größten Polen der letzten Jahrhunderte, dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. Er sagte: Alles, was zählt, ist der Mensch. Ein einfacher Satz, aber von ungeheurer Kraft und Wichtigkeit.   

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