Meister Wolfsburg feiert mit angezogener Handbremse

So schön der Fußball,so bescheiden die anschließende Party: Feiern müssen sie in der VW-Stadt tatsächlich noch lernen
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Wolfsburgs Meistertrainer Felix Magath mit der Meisterschale.
dpa Wolfsburgs Meistertrainer Felix Magath mit der Meisterschale.

So schön der Fußball,so bescheiden die anschließende Party: Feiern müssen sie in der VW-Stadt tatsächlich noch lernen

WOLFSBURG Von der Titelfeier in der 120000-Einwohner-Stadt Wolfsburg muss sich der Dauerläufer Felix Magath sicher weniger erholen. Dort war zwar die „ganze Bürgerschaft völlig aus dem Häuschen“, wie Oberbürgermeister Rolf Schnellecke beim Eintrag der Meister ins Goldene Buch der Stadt euphorisch anmerkte, aber auch im Moment des Triumphes blieb sich die Autostadt treu. Man schätzte 100000 Menschen auf den Straßen, feierte aber eher mit angezogener Handbremse. Selbst beim Jubelempfang der Helden auf dem Marktplatz vor dem Rathaus ohne Balkon blieb unklar, ob die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte gefeiert wird oder ob es sich um eine Autoschau handelt. Spieler, Trainer und einige VW-Manager fuhren unter Berücksichtigung der gesamten Produktpalette direkt auf die Bühne.

Die Wölfe stürzten sich später nach einem Dankesbankett des Konzerns im noblen Ritz Carlton (bis gegen Mitternacht) direkt neben der Volkswagen-Arena in eine private Party im „Kolumbianischen Pavillon“ am Allerpark. Die dortige Geschäftsidee: „Tranquilidad“ (Ruhe) für „stressgeplagte Mitteleuropäer“. Ende der Spielerparty war so gegen vier Uhr in der Früh. Und die einzigen, die es so gar nicht ruhig angehen ließen, waren die Brasilianer Grafite und Josue, die es mit Caipirinha und Tequila krachen ließen. Und Coach Magath? „Gegen halb drei war ich im Bett“, sagte er. Man hat in Deutschland schon andere Meisterfeiern erlebt. Feiern bis der Arzt kommt, das gehört offenkundig nicht zum Trainingsprogramm von Medizinball-Fan Magath. Die Innenstadt leerte sich ebenfalls rasch. Gegen 23 Uhr. Und es sah aus, als strömten hier die Besucher aus Kinos oder Theatern zielstrebig nach Hause.

Die „Party“ war am Nachmittag losgegangen, als in der ersten Hälfte des 5:1-Triumphes über Bremen feststand, dass sich der VfL den Titel nicht mehr nehmen lässt. Die Fans stürmten in wenigen Minuten unkontrollierter Begeisterung nach dem Schlusspfiff den Rasen, die Übergabe der Schale verzögerte sich bis 17.47 Uhr. Vorher hatten sie ein Tor demontiert, Teile des Rasens als Souvenirs herausgerissen und Leuchtraketen gezündet. Einige Wolfsburger Spieler übergossen Magath mit Bier, und der Cheftrainer musste sich zum Duschen zurückziehen, bevor er sich meisterlich duftend neben VW-Chef Martin Winterkorn in ein Cabrio zum Autokorso durch die Stadt setzte, der kaum eine Stunde dauerte. Waren ja auch nur zwei Kilometer.

Kurz nach zehn Uhr sagte Magath auf dem Marktplatz leise „Servus“. Er meinte, es sei genau der richtige Zeitpunkt „auf Wiedersehen" zu sagen. Nämlich dann, „wenn es am schönsten ist". Sichtlich gerührt hatte er die Umarmungen seiner Spieler genossen und ein paar Tränen verdrückt, als er die Meisterschale im grün-weißen Konfettiregen in die Höhe streckte. „Der Abschied fällt einem in einem solchen Moment schwer. Dass wir es so schnell schaffen, hätte ich nicht gedacht", sagte Magath mit Genugtuung in der Stimme.

Meister Magath hatte auch die Bayern vorgeführt und deren ehrgeiziges und am Ende klägliches Projekt mit dem Reformer Jürgen Klinsmann konterkariert. Immer, wenn sich die Gelegenheit bot, erzählte er von seinen Medizinbällen, für die er einen für alle einsehbaren Aufbewahrungsort rechts neben dem Haupteingang des Stadions hinter Plexiglas schuf. In Sichtweite des kleinen Berges, den hinauf die VfL-Kicker Steigerungsläufe machen mussten. Wolfsburgs Titel ist vor allem ein persönlicher Triumph Magaths.

Da musste sogar Franz Beckenbauer Tribut zollen. Wie gute Freunde, die sich schon morgen zum Skat wieder sehen, unterhielten sich die beiden via Mikrofon. „Mach’s gut, Felix", sagte der Kaiser im „Premiere“-Studio. „Du auch, Franz", erwiderte Magath, der mit den Bayern zweimal das Double gewonnen hatte und danach entlassen wurde. „Das ist seine wichtigste Meisterschaft“, analysierte Beckenbauer, „weil es seine überraschendste ist.“ Wohl wahr.

Oliver Trust

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