Leichter, jünger, stärker
SOLNA -Ganz artig hockte die Torhüterin im Pressesaal der Solna Arena, als der erste Singsang durch die Stahltür drang. „Der Kindergarten hat Ausgang“, sagte Nadine Angerer und blickte besorgt, als Gegröle den Raum flutete. Fast alle deutschen Nationalspielerinnen hatten sich fröhlich Zutritt verschafft, dann rief Lena Lotzen: „Super, Natze!“
Der Freudenausbruch nach dem 1:0 gegen Norwegen wirkten nur allzu verständlich: Dem Treffer von Anja Mittag (49.) und zwei gehaltenen Strafstößen von Angerer war es zu danken, dass der Abnutzungskampf ein schwarz-rot-goldenes Happy End fand. „Das Team hat sich ab dem Viertelfinale gefangen und sehr viel Spaß gemacht“, sagte Bundestrainerin Silvia Neid (49), „mich hat dieses Turnier zehn Jahre jünger gemacht.“
Tatsächlich hat sich das zwangsverjüngte Aufgebot mit drei 1:0-Siegen in der K.-o.-Runde nicht unverdient mit dem Titel belohnt, dem achten beim kontinentalen Kräftemessen, dem sechsten hintereinander. Das Viertelfinal-Aus bei der WM 2011 kann als einmaliger Durchhänger abgetan werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel übermittelte Glückwünsche, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sprach von einer „Bestätigung für den deutschen Frauenfußball“ – zuvor hatte er die Spielerinnen so innig geherzt wie das früher sein Vorgänger Theo Zwanziger gerne tat.
Elementar für die Huldigungen war erneut eine Weltklassetorhüterin, die ihren Coup aus dem WM-Finale 2007 mit einem parierten Strafstoß gegen Marta noch toppte. Beide Elfmeter wehrte Angerer mit feinen Reflexen ab. „Ich habe mir am Morgen noch mit Torwarttrainer Michael Fuchs die norwegischen Elfmeter aus dem Halbfinale angeschaut“, erzählte sie, „aber eigentlich ist das ein blödes Psychospielchen.“ Ihre Mitspielerinnen staunten: „Ich habe nur gebetet, dass sie die Schüsse hält. Der Fußball-Gott war bei uns“, so Spielmacherin Dzsenifer Marozsan. Die Matchwinnerin, die nach Australien und dann in die USA weiterzieht, ist die große Schwester ihrer Mitspielerinnen. Selbst Torschützin Anja Mittag meinte in ihrer Wahlheimat: „Natze hat sich verdient, im Mittelpunkt zu stehen.“
Silvia Neid hatte am Tag zuvor, zum Leidweisen von Angerer, ausgeplaudert, dass ihre Nummer eins sechs Kilo abgenommen habe. Neid bestätigte, dass sie im Winter in einem Gespräch angemahnt habe, „dass die Fitness das A und O ist, um handlungsschnell und sprungstark zu sein“. Bereits im Februar schickte die Torhüterin der Trainerin eine SMS, dass die Kilos gepurzelt seien.
Die Gewichtsreduzierung war elementar dafür, dass die deutsche Anführerin nun die 6,7 Kilo schwere Silbertrophäe aus den Händen von Michel Platini erhielt. Mit den Jubeltänzen im Konfettiregen ließ es auch dieses Ensemble natürlich nicht bewenden. Gegen 19.30 Uhr bestieg die deutschen Delegation den Mannschaftsbus, um bei einem stilvollen Abendessen im ?Hotel am Haga Park zusammenkommen. Der Sause am Stadtrand der schwedischen Hauptstadt folgt heute um 10 Uhr der Rückflug nach Frankfurt. Um 15 Uhr steigt am Römerberg der Empfang für die Europameisterinnen. Obwohl auf dem T-Shirt, das die Kapitänin beim Sturm der Kolleginnen trug, nur die maskuline Form stand: „Europameister“. Dabei sind sie stärker als das Team von Joachim Löw, das immer auf den ersten Titel wartet. Und so forderte Boris Becker am Sonntagabend schon bei Twitter: „Jetzt müssen es die Männer in Brasilien nachmachen!“