Lehmann: Nachtreten und austreten
In Stuttgart sorgt Jens Lehmann nicht nur wegen einer Pinkelpause während des Spiels für Aufsehen. Seine Kritik an den VfB-Chefs bringt ihm wohl eine Geldstrafe ein – und einen Konter von Horst Heldt.
STUTTGART Was die Modefarbe Lila angeht, befindet sich Jens Lehmann auf der Höhe der Zeit. In einem edlen Pullover stand er in der Interviewzone und grinste, als wolle er sagen: Wenn es drauf ankommt, kann mir keiner was. Ob der 40 Jahre alte Lehmann sonst noch in allen Belangen die besonderen Anforderungen eines Mannschaftssportlers erfüllt, wird in Stuttgart dagegen angezweifelt.
Lehmann durfte sicher nach dem 3:1-Sieg über Urziceni und dem Sprung ins Achtelfinale der Champions League sicher sein, dass man ihn nach seinen Angriffen gegen die Klubführung kaum rauswerfen wird. Seine Erfahrung ist im bevorstehenden Abstiegskampf unverzichtbar. Es wird auf eine Geldstrafe hinaus laufen.
Lehmann grinste auch, als er auf eine seltsame Szene im Spiel angesprochen wurde. Offenbar musste der Torwart mal, während das Spiel lief. Er kniete hinter einer Werbebande und verschaffte sich Erleichterung. „Das hat mich schwer an die Tour de France erinnert“, sagte Manager und Vorstand Sport Horst Heldt und grinste. Es war das einzige Mal, dass Heldt an diesem Abend grinste.
Dabei hätte gerade er viele Gründe gehabt, Freude zu empfinden. Aber nicht einmal die Torte, die man ihm im TV-Studio zum 40. Geburtstag vor die Nase stellte, wollte ihm gefallen. Die nächste Runde verheißt eine Einnahme von zehn Millionen Euro. Und er durfte sich neben Christian Gross, dem neuen Trainer als Sieger des Abends fühlen.
Auch hier blieb Heldt gelassen und wollte nicht den Eindruck erwecken, er trete gegen Ex-Trainer Babbel nach. Vor Wochen schon wollte er den entlassen, weil er die größer werdende Kluft zwischen Trainer und Kader erkannte. Dass ihn Aufsichtsratschef Dieter Hundt ausbremste, hatte Heldt schwer getroffen. Er wirkte auch am Abend des Triumphes urlaubsreif und erschöpft. Nun musste auch Hundt erkennen, wie dringend die Stuttgarter neue Reizpunkte brauchten. Noch in der Nacht soll er versöhnlichere Töne in Richtung Heldt angeschlagen haben.
Die Reizpunkte, die Keeper Lehmann setzt, stören dagegen. „Seine Aussagen sind von purem Egoismus geprägt“, wetterte Heldt. Lehmanns Klagelieder, weil man ihm den freien Sonntag strich und sein Nachkarten im Fall Babbel sind nicht mehr als Nebengeräusche. Die Entlassung sei auf Druck eines Haufens „pubertierender Jugendlicher“ erfolgt, behauptete Lehmann (AZ berichtete). Babbel habe keinen Ausweg mehr gewusst, konterte Heldt. Es wurde nachgetreten in Stuttgart.
Damit soll es dank Christian Gross (55) nun vorbei sein. Der Schweizer „ist genau der, den wir jetzt gebraucht haben“, sagte Sami Khedira, den Gross wegen dessen Offensivqualitäten gegen die Rumänen unbedingt im Team haben wollte. „Schnell nach vorne und Abschluss“, beschrieb der Mittelfeldmann die Anweisungen des neuen Trainers, den er als „autoritär“ beschrieb. „Er hat uns erklärt wie er das Spiel sieht“, sagte Khedira, der zwei Vorlagen gab. Nach fünf Minuten die zu Maricas Kopfballtor. Und die zum 3:0 des Russen Pogrebnjak (11.). Ex-Löwe Träsch erzielte das 2:0 (8.).
Sogar Lehmann räumte ein: „Gross hat ganz offensichtlich eine bestimmte Magie entfacht.“
Oliver Trust