Interview

"Kritik kommt nicht nur aus der Kurve": Fanforscher spricht über 1860-Ärger um Newcastle-Test

Testspiele gegen Teams aus Saudi-Arabien und Katar, umstrittenes Sponsoring, Werte: Fanforscher Prof. Harald Lange spricht im Interview mit der AZ über das Zusammenspiel von Fans, Klubs und Katar.
Martin Wimösterer |
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Unmissverständliche Meinung: Fans sprechen sich gegen die Wüsten-WM aus, hier vorigen Freitag bei einem Testspiel Düsseldorfs.
Unmissverständliche Meinung: Fans sprechen sich gegen die Wüsten-WM aus, hier vorigen Freitag bei einem Testspiel Düsseldorfs. © IMAGO/Norbert Schmidt

AZ-Interview mit Prof. Dr. Harald Lange: Der Professor für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg beschäftigt sich mit Fanforschung.

AZ: Herr Prof. Lange, Sie veranstalten ein Seminar zum Thema: "Welchen Fußball wollen wir?" Ist das die Frage, die derzeit alle im Fußball bewegt?
HARALD LANGE: Das ist eine der Fragen. Die Fans achten seit Jahren auf Kommerz im Fußball und auch auf Überkommerzialisierung. Sie halten, wenn sie sie in Gefahr sehen, die Werte des Sports und die Fanrechte hoch. Das hat sich auch beim Katar-Sponsoring des FC Bayern oder auch rund um die WM in diesem Winter gezeigt. Anders als früher kommt die Kritik nicht nur aus der Kurve heraus, sie hat die Mitte der Gesellschaft erreicht. Das beobachten wir auch in anderen Lebensbereichen. Die ethische Verfasstheit des Kommerzes ist wichtig geworden.

Prof. Dr. Harald Lange.
Prof. Dr. Harald Lange. © privat/ho

"Die Fans mussten schon mehrere Kröten schlucken"

Es hat sich in der Kurve also kein neues Bewusstsein entwickelt, sondern ausgebreitet?
Genau. Das Bewusstsein nimmt seinen Ausgang oft in der Kurve und wird in die Mitte der Gesellschaft transportiert, so auch im Fall Katar. Die Fans mussten schon mehrere Kröten schlucken. Die Vergabe der WM war zwielichtig und die Fans fragten sich, warum gerade in dieses Land. Beim Bau der WM-Stadien wurde sichtbar, dass das auf Kosten der Schwächsten geschieht. 6.000 Arbeiter sollen gestorben sein. Das ist auch für jemand, der ignorant durchs Leben geht, nicht mehr hinnehmbar. Wenn Funktionäre versuchen, dem Prozess noch Positives abzugewinnen, klingt das wie eine Verhöhnung der Verstorbenen.

Am Freitag spielt - klubintern umstritten - der TSV 1860 gegen Newcastle United, das zu 80 Prozent in saudi-arabischem Besitz ist. Am Sonntag trifft der FC Augsburg zum Ärger eines Fanbündnisses aus einen Klub aus Katar. Würden Sie zu diesen Partien gehen?
Ich persönlich würde da nicht hingehen. Mit Blick auf unsere Forschungsergebnisse ist das ein breiter Trend. Muss das gerade dieser Gegner sein? In der Vorbereitung kann man sich aussuchen, wen man will. Man müsste betrachten, welche finanziellen Zusammenhänge es gibt, ich halte die Ansetzungen aber für unsensibel.

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Nur eine Funktionärin beweist Rückgrat

Wird der Fußball den Werten, die er nach außen trägt, gerecht?
Das mit den Werten ist interessant. Es gibt 1.000 und eine Floskel, in denen Funktionäre von Werten sprechen, aber nie genau sagen, was man meint und wie man sie mit Leben erfüllt. Mit Blick auf Katar sind alle empört, auch der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Doch die einzige Funktionärin mit authentischem Rückgrat ist die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness. Sie hat die Dinge auf dem Fifa-Kongress in Doha beim Namen genannt. Als sie ihre Kritik vorbrachte, hat keiner offen geklatscht. Zurück in Deutschland, in einer Fernsehsendung, kam dann Neuendorfs Zustimmung. Ich suche hier solche Funktionäre wie Klaveness. Denen könnte man glauben. Norwegen hat sich auch als eines der ersten Länder Europas für Equal Pay bei Männer- und Frauennationalteams entschieden. Das könnte man auch hier umsetzen - es ist einfach eine Frage der Haltung und Verteilung. Die Männer würden das nicht merken. Doch das ist ein Wert, da kann ich dann reden und mache nichts - alles Schall und Rauch.

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Vor einem guten Jahr stellte sich die Männer-Nationalelf mit Buchstaben auf dem Shirt auf und formte "Human Rights". Ist das Symbolik oder geht das schon weiter?
Grundsätzlich kann man dagegen nichts sagen. Aber: Ist das nur ein Stück weit PR-Strategie? Man erwartet ja heute eine kritische Auseinandersetzung mit Katar. Der DFB hatte nun zweimal eine Anhörung, auf der Experten über die Situation Katar redeten. Die Fußballer haben sich das angehört, diskutiert haben sie nicht - nach 'ner Stunde war die Zauberschau vorbei. Es geht darum, das in Szene zu setzen. Bei der "Human Rights"-Sache kam ja heraus, dass da die Marketingabteilung mitmischte.

Nur ein PR-Coup? Die Nationalelf weist auf die Menschenrechte hin. In Katar werden sie laut Amnesty International oft missachtet.
Nur ein PR-Coup? Die Nationalelf weist auf die Menschenrechte hin. In Katar werden sie laut Amnesty International oft missachtet. © picture alliance/dpa/AFP-Pool

Wenn Fußball zum PR-Transporteur wird

Seitens des FC Bayern hieß es zum Katar-Sponsoring bei einem "Runden Tisch" sinngemäß: Der Sport könne Veränderungen im Land anschieben.
Als würde nur eine Reform durch den Fußball kommen. Für Katar ist der Sport ein Vehikel, mehr nicht. Danach sucht man sich das nächste Event, um im Weltinteresse zu bleiben. Es hat sich durch die vorige WM auch in Russland nichts verändert, eher im Gegenteil. Der Fußball trägt mit maßgeblich dazu bei, dass solche System sich festigen. Er wird zum PR-Transporteur.

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Heftige Kritik zur WM erwartet

Stoßen die Fans mit Ihren Einwänden bei Klubs und Verbänden denn auf offene Ohren?
Nein. Wir haben es zu Beginn des Ukraine-Krieges erlebt, wie sich alle von Sponsor Gazprom getrennt haben - der Fußball hat etwas länger gebraucht. Die wurden davon überrascht. Da hat ein Denken eingesetzt, dass es nicht immer nur um die Einnahmen gehen kann. Meine Prognose: Wir werden, das ist ein heikles Thema, bei Katar erleben, dass erstmals ein Sportsponsoring kontraproduktiv wirkt. Es hieß ja immer: Wenn die WM läuft, vergessen sowieso alle das Kritische. Wir haben das aber bei der vergangenen EM gemerkt, bei der die kritische Grundhaltung vom ersten bis zum letzten Turniertag anhielt. Wenn man die Problemlagen vergleicht, ist sie in Katar noch größer. Die Kritik ist jetzt schon wahrnehmbar und sie wird heftig sein. Dazu kommt, dass sie jetzt stattfinden sollte, sie tut es aber im Winter. Du guckst raus aus dem Fenster und siehst Schnee - und im TV läuft dann die WM. Surreal.

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