Koks, Camorra, Maradona

Argentiniens Nationaltrainer will Deutschland am Samstag aus dem WM-Turnier werfen. Er ist schon mal sein eigenes Opfer gewesen: Die bizarre Geschichte eines unglaublichen Niedergangs.
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Ein mann, der polarisiert - schon immer: Diego maradona.
dpa Ein mann, der polarisiert - schon immer: Diego maradona.

JOHANNESBURG - Argentiniens Nationaltrainer will Deutschland am Samstag aus dem WM-Turnier werfen. Er ist schon mal sein eigenes Opfer gewesen: Die bizarre Geschichte eines unglaublichen Niedergangs.

Die Zeit der schlimmen Bilder. Die Geschichten dazu waren ja schon haarsträubend genug, aber diese Bilder! Unerträglich. Ein aufgedunsenes, halsloses Stück Fleisch mit orangefarbenen Haaren: Das soll der global bewunderte One-in-a-million-Kicker der Neuzeit gewesen sein? Kaum zu glauben.

Maradonas Wandel vom Fußballer zum Lebemann setzte mit dem Wechsel von Boca Juniors zum FC Barcelona ein, mit 22. Dort wurde er mit Geld überschüttet, war der teuerste Spieler der Welt, und es sollte nicht allzu lange dauern, bis er auch die süße, verheißungsvolle Welt abseits des Fußballs entdeckte.

Er hatte ja genug Zeit dafür: Zunächst verhinderte eine Hepatitis das Titelsammeln, weitere Verletzungen folgten: ein Beinbruch nach einem brutalen Foul von Bilbaos Verteidiger Andoni Goikoeetxea.

Obwohl mit Cesar Luis Menotti ein Landsmann auf der Trainerbank saß, blieben die großen Titel aus, dafür wuchsen Maradonas Ausgaben für seinen zunehmend extravaganten Lebensstil: Kleidung, Autos, Frauen etc. Seine gewaltige Entourage bestand aus Hunderten Schmarotzern, die in der ganzen Stadt Rechnungen auf Maradona anschreiben ließen. Dem bestbezahlten Kicker des Planeten ging allmählich das Geld aus.

Ein Vereinswechsel sollte die Kasse wieder füllen. Der Plan seines Beraters: Barcas Präsident Nuñez dermaßen reizen, dass er Maradona gehen lässt. Gesagt, getan: Auf einer Pressekonferenz in New York ließ Maradona die Bemerkung fallen, Katalanen seien Hurensöhne, und nach einer filmreifen Schlägerei im Cup-Finale gegen Bilbao war das Kapitel Barcelona für den Argentinier beendet. Es folgte: Neapel, die Stadt der Paten. Maradona sollte sie kennenlernen. Es tat ihm nicht gut.

Am 5. Juli 1984 schwebte Maradona per Helikopter im Stadio San Paolo ein, von 75000 Tifosi empfangen wie ein Heilsbringer. Hier sollte er seine beste Zeit als Fußballer erleben, hier begann aber auch der Anfang vom Ende: Diego entdeckte das Kokain.

Nach dem verlorenen WM-Finale 1990 begann auch in Neapel Maradonas Ruhm zu blättern. Ein Foto, das ihn mit Camorra-Mitgliedern im Jacuzzi zeigte, bestätigte die ewigen Koks-Gerüchte. Im März 1991 wurde er bei einer Dopingprobe erwischt und flüchtete wenige Tage später mitten in der Saison nach Argentinien, wo ihn kurz darauf die Polizei verhaftete – wegen Drogenkonsums. Er bekam 14 Monate Gefängnis auf Bewährung, wurde vom argentinischen Fußballverband 15 Monate gesperrt und zu einer Entziehungskur verdonnert. Es sollte nicht die letzte bleiben.

Hinzu kamen eine Vaterschaftsklage und Verdächtigungen, er habe mit der Camorra über illegale Wettgeschäft die Meisterschaft 1987/88 verschoben.

Der Held war am Boden.

Im Jahr darauf versuchte er mit 32 ein Comeback, beim FC Sevilla. Es gelang mehr schlecht als recht, auch wenn er wieder das Nationaltrikot tragen durfte. Doch dann gewann wieder Mr. Hyde die Oberhand: In der Sommerpause schoss er mit einem Luftgewehr auf Journalisten, die seine Villa bei Buenos Aires belagerten. Per Gerichtsbeschluss durfte er das Land nicht mehr verlassen, was das Engagement bei Sevilla beendete. Nach einem Kurz-Gastspiel (sieben Pflichtspiele) bei einem Provinzklub wurde er tatsächlich für den WM-Kader 1994 nominiert, dort jedoch mit Ephedrin im Blut erwischt – was seine Karriere aber immer noch nicht beendete. Sein zweites Comeback erlebte er bei den Boca Juniors, doch als auch dort die Dopinggerüchte überhand nahmen, hörte Maradona kurzerhand auf – an seinem 37. Geburtstag.

Nun begann erst die Zeit der schlimmen Bilder. Im Januar 2000 erlitt er einen schweren Herzinfarkt – nach einer Überdosis Kokain. Die Entziehungskur führte ihn nach Kuba, wo er mit Fidel Castro Freundschaft schloss. Vier Jahre später musste er in eine Klinik in Buenos Aires eingeliefert werden, wo er tagelang um sein Leben kämpfte. Erst als er sich im Jahr 2005 den Magen verkleinern ließ, wurden die Bilder allmählich wieder ansehnlicher. Heute passt Dr. Jekyll sogar wieder in einen einigermaßen ordentlichen Anzug.

Thomas Becker

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