"Ich will nicht mein eigenes Siechtum sehen"
Hier lesen Sie, wieso es Rudi Assauer nicht schafft, seinen Bruder Lothar, der auch an Alzheimer leidet, im Pflegeheim zu besuchen – in Auszügen aus der neuen Autobiografie mit AZ-Reporter Strasser.
Düsseldorf - Es sind anstrengende Tage für Rudi Assauer, aber das war ihm bewusst. Die Termine sind wohl dosiert nach dem Outing seiner Alzheimer-Erkrankung. Am Freitag ist der ehemalige Schalke-Manager in der ZDF-Sendung „Volle Kanne” (ab 9.05 Uhr) zu Gast.
Am Mittwochabend hatte sich der 67-Jährige ein deftiges Schnitzel mit Bratkartoffeln plus ein alkoholfreies Weizenbier – so heißt das im Pott – gegönnt und dann mit seiner Tochter Bettina gemeinsam das RTL-Magazin „sternTV” verfolgt, das mit seinem Geständnis, gegen die unheilbare Demenzerkrankung anzukämpfen, die Sendung eröffnete. Aufmerksam verfolgte er Interviews und Beiträge, steckte sich dazu eine seiner geliebten Davidoff-Zigarren an. Gefasst, tapfer. Auch als es um das Schicksal anderer Patienten ging, deren Krankheit noch sehr viel weiter fortgeschritten war, blieb er gelassen.
In seiner Autobiografie „Wie ausgewechselt – verblassende Erinnerungen an mein Leben” (Riva Verlag, 256 Seiten, 19.99 Euro) schreibt Assauer, wie er bereits früh mit Alzheimer konfrontiert wurde – in seiner Familie: bei Mutter Elisabeth, bei Bruder Lothar.
Die AZ druckt Auszüge aus dem seit Donnerstag erhältlichen Buch:
„Meine Mutter Elisabeth war eine tolle Frau. Und hatte es nicht verdient, ihre letzten Jahre mit dieser Krankheit kämpfen zu müssen.”
Ihre letzten Jahre verbrachte sie, auch an Parkinson leidend, in einem Altersheim auf der Pflegestation. Assauers Mutter war nicht mehr in der Lage, selbständig zu gehen.
„Ich war damals bereit, ihr Sterbehilfe zu leisten. Ich hätte es getan, ich hätte sie davon erlöst. Sie konnte nicht mehr geheilt werden. Sie hat apathisch im Pflegeheim gelegen, es war eine Katastrophe. Ich konnte das schlecht mitansehen. Genau an dem Tag, an dem ich ein tödliches Medikament besorgen wollte, ist Mama aus dem Bett gestürzt, hat sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen und wurde notversorgt. Ich habe meine Schwester Karin angerufen und sie gebeten, dass wir auf die Ärzte einwirken, Mutter nicht noch einmal operieren zu lassen. Die Leiden wären größer gewesen als die Heilungschancen. Sie wurde auf Anraten der Ärzte dennoch operiert und überlebte die Operation nicht.”
Das war 1981, Elisabeth wurde 76 Jahre alt.
Sein Bruder Lothar, als Kind für den kleinen Rudi ein Vaterersatz, baute über die Jahre mehr und mehr ab. Zu Hause bekam er Aggressionsattacken. Seine Frau konnte sich schließlich nicht mehr kümmern, daher wurde er abgeholt und kam 2006 in stationäre Behandlung. Er lebt im Pflegeheim, mittlerweile Pflegestufe drei, direkt neben der „Memory Clinic” in Essen, in der sich Rudi Assauer selbst behandeln lässt.
Lothars Zustand hat sich weiter verschlechtert, auch wenn er nicht wie andere Demenzkranke im fortgeschrittenen Stadium nur noch apathisch im Bett liegt. Lothar ist ansprechbar, doch eine vernünftige Konversation ist mit ihm nicht zu führen. Für Assauer ein Grauen: „Ihm geht es noch schlechter als mir. Ganz, ganz dreckig. Aber da ins Pflegeheim hinzugehen und ihn da liegen zu sehen – das halte ich nicht aus, das stehe ich nicht durch.”
Hautnah hat Assauer beide Krankheitsverläufe miterlebt. Für ihn unerträglich. Er kann sich keinen Ruck geben, kann seinen Bruder nicht besuchen. Ihn da so hilflos liegen zu sehen, würde er nicht verkraften. Zu sehr kommen Bilder in ihm hoch, die ihn auch an seine Mutter denken lassen, wie sie in ihren letzten Lebensjahren eben auch an Alzheimer litt.
„Mit Lothar wurde es tragischer und tragischer. Mein Bruder wurde aggressiv, lief nachts aus der Klinik. Er weinte, sagte immer, er wolle nach Hause, nach Herten. Er tut mir schrecklich leid. Aber ich kann ihn nicht besuchen, das schaffe ich nicht. Ich will nicht zu ihm, auch wenn es das letzte Mal sein könnte. Ich möchte Lothar anders in Erinnerung behalten. Und außerdem: Ich will nicht mein eigenes Siechtum sehen, meinen eigenen Untergang. Ich wollte doch nie etwas mit dieser Krankheit zu tun haben.”
Seine ganze Karriere über hatte es Assauer mit Ärzten zu tun. Als Profi bei Borussia Dortmund hatte er sich einmal den Kiefer gebrochen, musste tagelang von seiner Mutter gefüttert werden. Doch schwerere Verletzungen blieben ihm erspart.
„Ich hasse Krankenhäuser. Für so was bin ich nicht gemacht. Schon den Geruch kann ich nicht ab – fürchterlich. Für mich war das immer ganz schlimm, jemanden dort zu besuchen. Ich habe mich immer möglichst geschickt davor gedrückt, irgendwelche Termine vorgeschoben. Klar, wenn es um die Familie ging oder eigene Spieler, dann ging es ja nicht anders. Schnell rein – und schnellstmöglich wieder raus. Irgendetwas in mir hat sich gesträubt. Und das nicht nur, weil ich da keine Zigarre paffen konnte – nur in diesen speziellen Räumen für Raucher, wo manche so stark gehustet haben, dass es mir ganz vergangen ist. Ach, wenn ich allein an einen Besuch im Krankenhaus gedacht habe, hat sich mir schon der Magen umgedreht. Manchmal hatte ich das Gefühl, mir geht es als Besucher schlechter als demjenigen, den ich besucht habe. Anmerken lassen konnte und wollte ich mir das natürlich nicht.”
Dass Alzheimer erblich ist, konnte die Forschung bis heute nicht beweisen. Es gibt allerdings eine genetische Komponente in der Verursachung der Krankheit. Bei rund fünf bis zehn Prozent der Betroffenen ist eine familiäre Häufung gegeben.
Für Karin, Assauers Zwillingsschwester, eine unerträgliche Situation. Sie hat zwei Brüder, und beide leiden an Alzheimer. Sie besucht Lothar Assauer regelmäßig. „Es ist ein Drama. Es geht ihm nicht gut, er verfällt. Kann sich nicht mehr allein waschen, muss gefüttert werden. Das ist alles so traurig. Aber Rudi soll ihn jetzt mit seiner Krankheit nicht besuchen, das hat keinen Zweck. Dass es ihn nun auch erwischt hat, ist tragisch. Ich kann mit ihm nicht über seine Krankheit sprechen. Das packe ich nicht. Erst Lothar, nun Rudi. Schrecklich ist das.”
Assauers Vater Franz starb 1983 an Herzversagen. Er wurde 72 Jahre alt. Sohn Rudi war bei ihm in der Stunde des Todes. Daran hat Assauer eine schöne Erinnerung: „Ich habe am Bett gesessen, noch zwei schöne, eiskalte Bierchen bestellt, die haben wir dann noch gemeinsam getrunken – dann ist er friedlich eingeschlafen.”
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