Genervter Ronaldo: "Wie soll ich darüber glücklich sein?"
Lyon - Cristiano Ronaldo schrieb artig Autogramme, er lächelte gequält für ein paar Selfies – dann wollte er nur noch weg. Über seine sensationelle Sternstunde mit zwei Toren und einer Vorlage konnte sich der Rekordmann der Portugiesen einfach nicht freuen. "Unser Hauptziel war der Sieg", sagte er sichtlich genervt, "das haben wir schon wieder nicht geschafft!"
Mit einem spektakulären, aus eigener Sicht aber viel zu dürftigen 3:3 (1:1) musste sich der selbst ernannte Titelaspirant zum Abschluss der EM-Vorrunde gegen den Außenseiter Ungarn begnügen. Superstar Ronaldo stellte dabei mit seinem 17. EM-Einsatz eine Bestmarke auf, er ist der erste Spieler, der bei vier Endrunden einen Treffer erzielte, er belohnte sich und seine Mannschaft zudem mit dem Einzug ins Achtelfinale. Aber Freude?
Am Samstag geht's gegen die starken Kroaten
"Wie soll ich glücklich darüber sein? Es sah dreimal so aus, als ob wir nach Hause fahren müssten", sagte der 31-Jährige, dem mit nun acht EM-Treffern nur noch ein Tor zum Rekord des Franzosen Michel Platini fehlt.
Mindestens bis Samstag dürfen die Portugiesen nun jedenfalls noch in Frankreich bleiben. Dann nämlich steht in Lens (21.00 Uhr das K.o.-Duell mit den starken Kroaten an, "das nächste Finale", wie Trainer Fernando Santos es nannte. Und trotz aller Enttäuschungen, trotz einer Gruppenphase mit Unentschieden gegen Island (1:1), Österreich (0:0) und Ungarn, ist die Zuversicht nun riesig - dank Ronaldo.
"Cristiano lebt von seinen Toren. Das Spiel hat seinem Selbstvertrauen vor der Partie gegen Kroatien gutgetan, er ist ein wahrer Siegertyp", lobte der 61-Jährige seinen Spielführer. Vor allem beim 2:2 (50.), das Ronaldo traumhaft mit der Hacke hinzauberte, blitzte seine ganze Klasse auf. Da er vor dem 1:1 Nani (42.) glänzend in Szene gesetzt hatte, war der eigene Kopfballtreffer (62.) zum Endstand noch der unspektakulärste Akt der One-Man-Show.
Lesen Sie hier: Ronaldo hat genug - Mikrofon landet im See
Die Zeitungen in der Heimat feierten CR7 logischerweise als den Retter, der "ein leidendes Portugal" erlöste (A Bola). Ausgerechnet Correiho da Manha, dessen Reporter Ronaldo am Morgen des Spieltags noch ein Mikrofon aus der Hand gerissen und in einen See geworfen hatte, schrieb: "Portugal war eigentlich schon raus, aber Ronaldo hat uns gerettet. Zwei Tore und eine Vorlage sind die Antwort auf die Kritik der vergangenen Tage."
Die Chancen auf einen Sieg gegen Kroatien bezifferte Ronaldo auf 50 Prozent. "Nicht allen Teams gelingt es, Spanien zu schlagen", begründete er seine Einschätzung. Die Kroaten waren am letzten Spieltag ihrer Gruppe dazu bekanntlich in der Lage, und dennoch versicherte Ronaldo: "Wir werden ihnen einen Kampf auf Augenhöhe liefern."
Das sollten der Ausnahmekönner und seine ebenfalls begnadeten Mannschaftskollegen (Santos: "Wir haben 23 gute Spieler in unserem Kader") auch tun, denn ansonsten platzt der Traum des Trainers vom ganz großen Coup viel zu schnell.
"Kroatien ist definitiv eines der Teams, dem wir sehr gerne aus dem Weg gegangen wären", sagte Santos, für den Aufgeben allerdings keine Alternative ist. Ganz im Gegenteil: "Wir haben riesigen Ehrgeiz. Wir wollen in das Finale und das dann auch gewinnen."