Fußball-WM 2018: Palina Rojinski über Fusel, Frauen und ihr Heimatland
München - WM-Gespräch mit Palina Rojinski. Die gebürtige Russin (33) war deutsche Junioren-Meisterin der Sportgymnastik, sie ist jetzt Schauspielerin und Moderatorin und ist für die ARD als Reporterin bei der Fußball-WM tätig.
AZ: Frau Rojinski, Sie sind gebürtige Russin, als Reporterin für die ARD in Ihrem Heimatland unterwegs, aber dabei nicht unbedingt als Fußball-Fan bekannt. Haben Sie inzwischen ein Gefühl für Kicker bekommen?
Palina Rojinski: Nein, das machen während der WM schon so viele Menschen. Ich finde es faszinierend, dass man als Fußballer diese wahnsinnige Konzentration halten muss. Man hat einen immensen Druck, weil Fußball in Deutschland ja eine so große Sportart ist. Wenn man dann einen Elfmeter schießen muss, möchte ich wirklich nicht mit den Spielern tauschen.
Ein dummes Klischee lautet: Frauen schauen Fußball nur, weil die Spieler am Ende die Trikots tauschen.
Ach, ich finde, die sehen auch in den Trikots gut aus, für mich müssen sie sie gar nicht tauschen. Zur WM in Brasilien waren meine Freundinnen in unserer WhatsApp-Gruppe echt hinter den Spielern her.
Hat Russland eine im Volk verankerte Fußballkultur?
Nicht unbedingt. Aber mit dem Fall des Eisernen Vorhangs stieg auch die Begeisterung für Fußball. Ich habe das Gefühl, dass jetzt alle russischen Männer richtig harte Fußballfreaks sind. Wir kommen alle aus St. Petersburg und die Männer aus meiner Familie sind Zenit-Fans. Als die Mannschaft 2008 den Uefa-Pokal gewann, war in ganz St. Petersburg der Alkohol ausverkauft. Kein Scherz! Man hat an keiner Tankstelle, keinem Kiosk mehr etwas bekommen. Und jetzt haben sie die Gesetze noch einmal krass verschärft, es darf nach 22 Uhr kein Alkohol verkauft werden.
"Russen lieben es, mit Fremden einen zu trinken"
Was muss man beachten, wenn man gemeinsam mit russischen Fans feiert?
Ich weiß nicht, wie es speziell mit den Fußballfans ist, aber russische Menschen sind generell sehr offenherzig und lieben es, mit ausländischen Gästen einen zu trinken. Das ist für sie das Allertollste. Als ich für den Confed Cup in Sotschi unterwegs war und wir einen Einspieler drehten auf der Datscha eines Herren, musste das ARD-Team mittrinken. Der Einwand, dass wir arbeiten, wurde nicht ernst genommen, und wir mussten uns mit dem Drehen total beeilen. Unser Gastgeber hatte extra ein Schwein für uns geschlachtet, und es wurde selbstgebrauter Pflaumenschnaps Chacha getrunken.
Warum trinken Russen so viel?
Weil es immer Toasts (kurze Trink-Ansprache, d.Red.) gibt, damit der Russe reden kann. Diese Toasts gehen nur um Völkerfreundschaft. Nonstop. Und ich habe die ganze Zeit simultan übersetzt. Das Russische auf deutsch dem deutschen Team und das Deutsche auf russisch den Russen. Es ist toll, denn so passiert auch ein kultureller Austausch. Die älteren Russen sprechen traditionell kein Englisch, während die jungen es fabelhaft beherrschen. Also man kommt gut zurecht. Als ich da war, waren alle schon wahnsinnig aufgeregt, weil zur WM so viele Gäste erwartet werden.
Palina Rojinski: "Meine Eltern haben mir früh richtiges Trinken beigebracht"
Wie trinkfest sind Sie?
Ich habe gute Übung! Man trainiert ja, um die Form zu halten. Tatsächlich haben mir meine Eltern relativ früh richtiges Trinken beigebracht. Es gab zwei Faustregeln: Nie die Prozente senken. Wer mit Wodka angefangen hat, sollte dabei bleiben. Und keinen Fusel trinken. Wegen der Kopfschmerzen. Das Tolle an der russischen Kultur ist, dass die Kinder bei allem dabei sind. Bei Familienfeiern habe ich als Kind immer auf zwei Stühlen geschlafen. Das war super aufregend! Es geht alles lockerer zu, aber es war nicht so, dass mich meine Eltern mit 14 zum Wodkatrinken eingeladen haben. Sie wollten mich mit den Regeln schonen.
Können Sie die russische Seele erklären?
Für mich als Russin ist es sehr schwer, diesen Begriff zu erklären. Wir können ja kein Foto von unserer Seele machen. Es ist eher ein Gefühl. Man fühlt sich irgendwie verbunden. Obwohl mir jetzt auch Freunde berichten, dass das Land egoistischer geworden ist. Die Russen helfen sich jedenfalls gegenseitig, das kenne ich nicht anders. Wenn jemand Älteres den Raum betritt – egal wo ich bin – steht man sofort auf und gibt seinen Platz diesem Menschen. Man hält die Tür auf, hilft Leuten mit ihrem Gepäck oder Schwangeren, Behinderten, Kranken. Als eine etwas ältere Bekannte von mir das erste Mal in St. Petersburg war, erzählte sie mir begeistert von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen.
Die "Zeit" behauptet, die russische Frau habe sich dem Macho-Mann total unterworfen. Welchen Eindruck haben Sie von den Russinnen?
Ich finde schon, dass das in der russischen Kultur so ist. Das gefällt mir gar nicht! Es ist verzwickt. Gefühlt haben die Frauen in Russland schon auch das Sagen, aber der Mann wird von ihnen ein bisschen als König behandelt. Er wird bewirtet, hilft nicht im Haushalt. Die Frau ist auf jeden Fall für die Erziehung der Kinder zuständig. Das ist sehr konservativ. Das Krasse ist, dass die russischen Frauen so viel machen. Ganz viele haben einen akademischen Abschluss, das ist sehr wichtig in der russischen Kultur. Sie arbeiten schnell wieder, nachdem sie ein Kind bekommen haben.
Warum lassen sie sich von den Männern unterdrücken?
Ich verstehe das nicht. Meine Omas zum Beispiel haben beide Männerjobs gehabt. Und ich wollte als Kind Kranführerin werden. Dabei ist es total krass, solch ein Riesending zu lenken! Im frühen Alter hat man als Mädchen einen Traum, aber gleichzeitig ist die russische Frau in familiären Verhältnissen ein bisschen unterdrückt.
Wow-Bikini-Foto! Palina Rojinski zeigt viel Brust!
Haben Sie trotzdem eine neue Heimatliebe entwickelt?
Geht so. Vielleicht dadurch, dass ich so viel von Russland kennengelernt habe. Ein Dichter hat mal gesagt: "Mit dem Verstand versteht man Russland nicht." Dieser Satz hat sich für mich sehr bewahrheitet. Aber dafür ist Russland sehr spannend und unterhaltsam.
Was können Russen und Deutsche voneinander lernen?
Die Deutschen vielleicht ein bisschen mehr Entspannung und grundlose Freude. Dem russischen Volk ging es ja auch nicht immer gut, und trotzdem gibt es diese Freude. Die Russen können von den Deutschen auf jeden Fall diese wahnsinnig gute Organisation lernen. Ich sehe mich auch als Deutsche, weil ich mein ganzes bewusstes Leben hier verbracht habe. Aber in Russland denke ich immer: "Die Straße ist scheiße gemacht." Die müssen auf jeden Fall noch an der Qualität arbeiten
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