"Fußball ist wie ein Gefängnis"
Der Journalist Jürgen Rollmann (43) war früher selbst Profi. Mit 28 beendete er seine Karriere und entschied sich für ein Studium. 1997 schrieb er das Buch: "Beruf Fußball-Profi: Zwischen Sein und Schein". In der AZ spricht er über den Selbstmord von Robert Enke und warum sich weder depressive noch schwule Fußballer outen. „Prominenz ist eine Bestrafung.“
Von Florian Kinast
AZ: Warum, Herr Rollmann? Warum musste Robert Enke Angst haben, seine Depression öffentlich zu machen? Weil im Profi-Fußball kein Platz ist für schwache, labile Menschen?
JÜRGEN ROLLMANN: Mir scheint, Robert war einfach alleine. Er hatte offensichtlich niemanden im Verein, dem er sich anvertrauen konnte, keinen Freund, keinen Mannschaftskameraden. Wenn viele jetzt sagen, das liege an der arachischen Männergesellschaft im Fußball, wo nur Stärke zählt: Das ist mir zu pauschal. Es hat sich doch so viel Positives getan in den letzten 30 Jahren. Damals war das noch ein großes Tabu, wenn einer auf die Couch musste. Inzwischen setzen viele Vereine auf die Hilfe von Sportpsychologen.
Der FC Bayern etwa mit Philipp Laux. Oder der DFB mit Hans-Dieter Hermann.
Fußballer haben viele Möglichkeiten, sich anzuvertrauen. Es gab schon zu meiner Zeit in Bremen diese Bibelkreise, wo Wynton Rufer mit dabei war oder Rune Bratseth. Wo man sich öffnen und über seine Probleme sprechen konnte. Und als ich Präsident des VDV (Vereinigung der Vertragsfußballspieler, d. Red.) war, habe ich ein Coaching ins Leben gerufen, von Psychologen für Sportler. Es gibt schon Angebote, den Menschen im Profi-Fußball zu helfen.
Nur Robert Enke hat jetzt so eine Hilfe nicht angenommen.
Er hat sich offensichtlich völlig abgekapselt. Das war ja keiner der klassischen Fälle, wenn ein Profi nach der Karriere keinen Fuß mehr auf die Erde kriegt. Der im Alkohol endet, der sich in Immobiliengeschäften verspekuliert. Enke wollte sich keinem anvertrauen, weil Menschen, die an dieser Krankheit leiden, sich wohl ganz alleine fühlen. Und weil er Angst hatte, dass es rauskommt.
Vielleicht war es die Angst vor Schmähungen in gegnerischen Stadien.
Das denke ich nicht. Für den Dammbruch hat Sebastian Deisler gesorgt. Deisler hat die Tür aufgemacht, und gerade Robert mit der tragischen Geschichte seiner toten Tochter, da hätte er viel Verständnis erfahren. Ich glaube, die Fans sind da sensibler geworden. Auch bei anderen Krankheiten. Denken Sie an Tony Adams in England, der nach seiner geheilten Alkoholkrankheit bei Arsenal von den Fans gefeiert wurde.
Im dumpfen Fan-Milieu mag ein Profi aber doch beliebter sein, wenn er im Vollrausch unter dem Tresen liegt als mit Depressionen auf der Psycho-Couch. Und auch Homosexualität ist doch deswegen tabu, warum outen sich denn keine schwulen Profis, warum darf man seine Seele nicht öffnen?
Es gab ja erst jetzt in Dänemark einen Torwart, der in seinem Buch geschrieben hat: „Ich hasse Schwule.“
Sie sprechen von Arek Onyszko vom FC Midtjylland.
Völlig irrational, den haben sie zum Glück dann auch gleich rausgeschmissen. Die Angst vor den Konsequenzen nach dem Outing ist bei Depression und Homosexualität sicher ähnlich. Nur muss man hier schon grundlegend unterscheiden. Depression ist ein Grund für eine Therapie. Aber Homosexualität?
Gott sein Dank nicht.
Eben. Es ist schon viel Muff weggeflogen in den letzten Jahren, dass sich Vorteile abgebaut haben. Gegen Schwule, gegen Depressionskranke. Und doch fragt sich doch jeder: Warum einer wie Robert? Einer, der für einen Außenstehenden alles hat, der im Schlaraffenland lebt. Geld und Ruhm. Ein Topverdiener, dem alle auf die Schulter klopfen und der auch noch seine Autowäsche umsonst kriegt. Da träumen doch viele davon, weil sie meinen, das sei das Tollste, was es gibt. Aber das ist es nicht.
Damit tauchen wir ein in die Scheinwelt, in der ein Fußballprofi lebt, über die Sie in Ihrem Buch geschrieben haben.
Es gibt ein schönes Sprichwort: „Popularität ist eine Strafe, die nur wie eine Belohnung aussieht.“ Und das ist nicht nur fußballspezifisch. Denken Sie an die Abstürze in der Musikbranche. Jim Morrison von den „Doors“. Tot mit 27. Elvis, Janis Joplin, Michael Jackson. Man denkt doch, erfolgreiche Menschen haben keinen Grund, depressiv zu sein. Dass Reichtum und Prominenz zufrieden macht. Nur wenn dem so wäre, dann müsste sich im Umkehrschluss die Friseuse, die 1500 Euro verdient und von 8 bis 6 arbeitet, ja fünfmal vor den Zug schmeißen. Erfolg heißt nicht Glück. Ich war ja auch nicht der Superstar, und trotzdem bin ich in der Fußgängerzone immer erkannt worden. Das ging nicht so weit wie bei anderen, dass ich nur noch mit Kappe und angeklebtem Bart herumlief. Aber ich empfand es als unangenehm. Da merkte ich, Prominenz ist auch eine Bestrafung.
Waren Sie unglücklich als Profi?
Ja, ich habe gelitten in Bremen. Das war da der Grund, warum ich aufgehört habe. Bei mir lag das natürlich an meiner sportlichen Situation. Ich war im dritten Jahr bei Werder, saß aber nur auf der Bank. Deswegen sind die Vereine bei mir auch nicht gerade Schlange gestanden. Ich ging dann noch nach Duisburg, mir war aber schon klar, dass ich was anderes machen muss. Dann habe ich mich mit 28 für das Studium in München entschieden und die Karriere beendet.
Wie hat Ihr Umfeld reagiert?
Die konnten das nicht fasssen. Die haben alle gefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Aber ich war mit Fußball durch. Für mich war klar: Schluss, Feierabend. Ich hatte die Lust am Fußball verloren.
So wie Sie denken nicht viele.
Tobias Rau vielleicht noch. Wolfsburg, Bayern, Nationalmannschaft. Mit 27 wollte er auch nicht mehr und hat sich für ein Lehramtsstudium entschieden. Ansonsten, wenn du zehn Profis hast, da sind acht, neun nur auf Fußball fixiert.
Haben Sie es jemals bereut, Profi geworden zu sein?
Nein, nie. Es war eine wunderbare Erfahrung, ich habe viel gelernt. Nur werde ich den Moment nie vergessen, als ich das erste Mal in die Münchner Uni gegangen bin. Durch den Haupteingang, dorthin, wo die Geschwister Scholl ihre Flugblätter heruntergeworfen haben. Da stand ich in dieser Halle, habe mich umgeschaut und war glücklich. Das war wie eine Befreiung. Da wusste ich, jetzt bist du raus aus dem Gefängnis.