Ex-Bayer Pizarro: Genie und Wahnsinn
Dem unberechenbaren Star Pizarro sei Dank: Werder triumphiert bei Milan – und sieht sich für das Duell mit den Bayern gewappnet
MAILAND Die honorigen Herren der Bremer Geschäftsführung haben im Europapokal schon viel erlebt. Manfred Müller oder Klaus-Dieter Fischer standen bei Werder schon in der Verantwortung, als man unter Anleitung von Otto Rehhagel die berühmten Wunder von der Weser schuf. Das, was sich unter Ausschluss deutscher Fernsehzuschauer im Giuseppe-Meazza-Stadion von Mailand am Donnerstag abspielte, erreichte nun eine neue Dimension.
„Das schönste Unentschieden seit 20 Jahren“, nannte Marketing-Fachmann Müller das 2:2 beim AC Mailand und freute sich über den Einzug ins Achtelfinale des Uefa-Cups: „Das war richtig gut fürs Image, interessant für die Finanzen und wichtig für die Psyche.“ Vor allem letzteres: Die zuletzt arg ramponierte Marke Werder, selbst nach innen mit vielerlei Selbstzweifeln versehen, strahlte auf einmal wieder wie zu besten Rehhagel-Zeiten. Und plötzlich ist die Brust so breit, dass man fest daran glaubt, auch dem FC Bayern im Klassiker am Sonntag (17 Uhr, AZ-Liveticker) die breite Brust bieten zu können.
„Ich werde die Mannschaft nicht aus der Pflicht lassen“, kündigte Trainer Thomas Schaaf an, und Torsten Frings warnte in Richtung München: „Das haben wir gebraucht und hat uns viel Selbstbewusstsein gegeben.“ Selbst Zweifler wie Per Mertesacker machen gerade rechtzeitig vor dem Bayern-Gastspiel eine Aufbruchstimmung aus: „Das muss uns Auftrieb geben – für was auch immer.“
Tatsächlich wurde die uninspirierte Milan-Riege samt Superstar David Beckham zum Spielball beschwingter Bremer, die nun auch gegen St.Etienne als Favorit gehandelt werden. „Wir hatten die Partie nie im Griff“, gab Trainer Carlo Ancelotti zu. Und seine Analyse glich einem Offenbarungseid: „Werder war besser, uns physisch und taktisch überlegen.“ Den vom abermals indisponierten Clemens Fritz begünstigten 0:2-Rückstand durch den Handelfmeter von Andrea Pirlo (26.) und das Traumtor von Pato (33.) münzte Claudio Pizarro mit zwei feinen Kopfballtoren (68./78.) noch in ein hochverdientes Remis um.
Cheftrainer Thomas Schaaf führte nach dem Ausgleich an der Trainerbank ein ekstatisches Tänzchen auf, seine Spieler taten es nach dem Abpfiff. „Wer in vier Spielen einer Saison gegen Inter und AC Mailand nicht verliert, besitzt Qualität“, stellte Sportchef Klaus Allofs lapidar fest.
Die vorhandene Klasse ein wenig konstanter abzurufen, wäre vorteilhaft. Etwa ist am Ex-Bayern Claudio Pizarro bestens zu besichtigen, dass Genie und Wahnsinn in Werders Team eine friedliche Koexistenz pflegen. Gegen Cottbus katapultierte sich der 30-Jährige mit einem verpassten Flieger und Training aus dem Kader, gegen Mailand schoss er die Hanseaten in die nächste Runde. Immerhin gab Pizarro artig zu Protokoll: „Ich wollte der Mannschaft mit meiner Erfahrung helfen. Ich hoffe, dass wir jetzt so weiterspielen.“
Ein Verlangen, dem sich die Antreiber nicht verschließen sollten. Nicht Diego oder Mesut Özil muss es bei Werder heißen, sondern Diego und Özil! Ihre Vorstellung hatte frappierende Ähnlichkeit mit der Gala, die Werder auch beim 5:2 im Hinspiel in München bot. Gegen Diego und Özil wirkten Clarence Seedorf und Beckham wie sündhaft teure Standfiguren. Die englische Stil-Ikone gab im Blitzlichtgewitter später mit verräterischem Grinsen preis, eine „enttäuschende Nacht“ erlebt zu haben: „Aber das passiert im Fußball.“
Frank Hellmann