Interview

Europameister Fredi Bobic: "Die Stürmer-Diskussion kommt zu spät"

Vor dem Spiel gegen Portugal spricht Europameister Fredi Bobic in der AZ über das Stürmer-Problem beim DFB, die Kimmich-Frage, Ronaldo - und was ein frühes EM-Aus für die Ära Löw bedeuten würde.
von  Krischan Kaufmann
"Ich bin mir aber sicher, dass wir gegen Portugal mehr Räume bekommen werden, und da haben wir dann auch Spieler mit einer Extraklasse, die das ausnutzen können", sagt Fredi Bobic über die Ausgangssituation der DFB-Elf.
"Ich bin mir aber sicher, dass wir gegen Portugal mehr Räume bekommen werden, und da haben wir dann auch Spieler mit einer Extraklasse, die das ausnutzen können", sagt Fredi Bobic über die Ausgangssituation der DFB-Elf. © imago images/HMB

AZ-Interview mit Fredi Bobic (49): Der ehemalige Nationalspieler (37 Einsätze, Europameister 1996) und Ex-Bundesliga-Profi (unter anderem VfB Stuttgart und Borussia Dortmund)  wechselte nach seiner aktiven Karriere in Vereinsmanagement und wechselte zur neuen Saison von Eintracht Frankfurt (Vorstand Sport) zu Hertha BSC (Sport-Geschäftsführer).

AZ: Herr Bobic, parallel zu Ihrer neuen Aufgabe als Geschäftsführer Sport von Hertha BSC Berlin begleiten Sie gerade auch die Europameisterschaft als Experte fürs Fernsehen. Da haben Sie ziemlich viel zu tun - oder haben Sie womöglich ihren Job bei MagentaTV an das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft gekoppelt...
FREDI BOBIC: (lacht) Nein. Ich darf auf jeden Fall die komplette EM erleben - bis zum Finale!

Und wie lange erleben wir noch das DFB-Team bei diesem Turnier?
Ich hoffe bis zum 11. Juli, also auch bis zum Endspiel.

Fredi Bobic steht bei "MagentaTV" als EM-Experte vor der Kamera.
Fredi Bobic steht bei "MagentaTV" als EM-Experte vor der Kamera. © Uwe Anspach/dpa

Das klingt sehr optimistisch.
Für mich ist das Glas immer mindestens halbvoll, also glaube ich, dass wir die Vorrunde überstehen werden und in der K.o.-Phase ist dann eh alles möglich.

"Wir haben gegen Frankreich keine blamable Leistung abgeliefert"

Können Sie verstehen, wenn manche Fans nach dem 0:1 gegen Frankreich nicht ganz so positiv in die Zukunft blicken?
Wir haben eine Gruppe mit dem amtierenden Weltmeister und Europameister (Frankreich und Portugal, d. Red.) erwischt. Wir wussten also von vornherein, dass es nicht einfach wird - und dass wir auch früh ausscheiden können. Aber man muss auch einmal ganz klar sagen: Wir haben gegen Frankreich keine blamable Leistung abgeliefert, es war vielmehr eine ordentliche Leistung gegen einen übermächtigen Gegner an diesem Tag. Jetzt müssen wir eben gegen Portugal die Punkte holen. Im Moment geht es für uns doch einfach nur darum, die Gruppe zu überstehen.

"Bis bei uns die jungen Neuner nachkommen, wird es noch dauern"

Dafür bräuchte es vor allem Tore. Unter den rund 80 Millionen selbsternannten Bundestrainern entbrennt gerade wieder eine Mittelstürmer-Debatte. Fehlt Ihnen auch im deutschen Sturmzentrum die Durchschlagskraft?
Diese Debatte gibt es doch schon seit Jahren. Wenn man ehrlich ist, haben wir seit Miro Klose in Deutschland keinen echten Mittelstürmer mehr - was im Übrigen nicht am Bundestrainer liegt!

Das muss doch gerade Sie als ehemaligen Torjäger besonders schmerzen, oder?
Natürlich schmerzt das. Aber das habe ich ja schon oft angeprangert. Bei den Vereinen, bei denen ich bislang als Manager tätig war, hatten wir immer gute Stürmer, aber die kamen eben nicht aus Deutschland. Diesen Trend haben wir verschlafen. Bis bei uns die jungen Neuner nachkommen, wird es noch dauern.

"Da muss man eben ein bisschen anders Fußball spielen"

In Deutschland philosophiert man dafür lieber über Sinn und Unsinn der falschen Neun.
Ja, aber diese Diskussion kommt eindeutig zu spät. Wir müssen jetzt eben mit dem arbeiten, was wir in der Offensive haben - und das ist ja auch nicht so schlecht. Da muss man eben ein bisschen anders Fußball spielen. Da brauchen wir Tiefe und Räume - und diese Räume haben uns die Franzosen einfach nicht gegeben. Ich bin mir aber sicher, dass wir gegen Portugal mehr Räume bekommen werden, und da haben wir dann auch Spieler mit einer Extraklasse, die das ausnutzen können.

Bobic über Kimmich: "Wenn er über rechts super funktioniert..."

Ebenfalls heiß diskutiert wird nach dem Frankreich-Spiel die Rolle von Joshua Kimmich. Wäre es nicht hilfreich, ihn zurück in die Zentrale zu versetzen, wo er nachgewiesenermaßen seine größten Stärken hat?
Ich halte ihn auf der Position, wo er gerade spielt für richtig gut. Wenn er über rechts super funktioniert, ist er auch torgefährlich. Aber gegen Frankreich war eben sein Gegenpart auch nicht so schlecht (Bayern-Kollegen Lucas Hernández, d. Red.) und wenn dann da in der Ecke auch Kylian Mbappé herumrennt... Aber ich bin mir sicher, dass, wenn Kimmich dort gegen Portugal spielt, die rechte Seite uns gehört. Klar ist er auch in der Mitte stark, aber das wird der Bundestrainer schon richtig entscheiden.

Bobic über Portugal: "Wenn sie Schwächen haben, dann eher in der Defensive"

Blicken wir auf den Samstag: Ist es zu einfach, Portugal nur auf Cristiano Ronaldo zu reduzieren?
Auf jeden Fall! Natürlich ist er der große Antreiber, der immer gewinnen möchte. Aber sie haben auch noch einen Diogo Jota vom FC Liverpool, Bruno Fernandes von Manchester United oder Bernardo Silva von Manchester City - und wenn sie es sich erlauben können, einen Andre Silva (Eintracht Frankfurt, d. Red.), der immerhin 28 Tore in der Bundesliga geschossen hat und den ich ja auch ganz gut kenne, auf die Bank zu setzen, dann zeigt das schon, was für eine große Qualität die Portugiesen im Kader haben. Wenn sie Schwächen haben, dann eher in der Defensive.

Nur ein Punkt oder gar eine Niederlage am Samstag und der Druck steigt für das deutsche Team ins Unermessliche.
Aber selbst wenn wir Portugal schlagen, wird es dann am Mittwoch gegen Ungarn ein Endspiel geben. Das wissen wir doch jetzt schon.

Bobic: "Die Spieler wollen gewinnen - für Jogi Löw"

Die ganze Situation erinnert schon ein wenig an die verkorkste WM 2018, wo man im letzten Gruppenspiel auch unbedingt gewinnen musste. Der Rest ist bekannt.
Man kann die Situation jetzt nicht mit 2018 vergleichen. Damals haben wir wirklich grausam gespielt, sehr träge, mit einer ganz anderen Körpersprache. Jetzt haben wir ganz andere Gegner vor der Brust - und eigentlich nur Endspiele.

Sollte es doch schiefgehen und Deutschland erneut in der Gruppenphase scheitern, müsste dann auch die Ära Joachim Löw am Ende neu bewertet werden?
Bis zum Turnier in Russland hat Jogi Löw doch überragend abgeliefert. Mit all den Halbfinals und Endspielen bei großen Turnieren - und natürlich dem WM-Sieg 2014. Deshalb wünsche ich ihm, dass er den Titel gewinnen, zumindest aber ins Halbfinale vorstoßen kann. Auch wenn das natürlich sehr schwer wird. Aber die Spieler wollen gewinnen, für Jogi Löw, für sich selbst - und auch für Deutschland.

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