„Eine Frage des Herzens“

Hier erzählt Erdal Keser, einst selbst Profi in der Bundesliga, wie er für den türkischen Verband talentierte Landsleute in Deutschland scoutet – und warum er DFB-Star Özil nicht nachtrauert.
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Mesut Özil habe sich wegen der Karriere für Deutschland entschieden, meint Hamit Altintop.
AP Mesut Özil habe sich wegen der Karriere für Deutschland entschieden, meint Hamit Altintop.

Hier erzählt Erdal Keser, einst selbst Profi in der Bundesliga, wie er für den türkischen Verband talentierte Landsleute in Deutschland scoutet – und warum er DFB-Star Özil nicht nachtrauert.

AZ: Herr Keser, allein in Deutschland spielen rund 200000 junge Türken Fußball, Ihr Büro sichtet in ganz Europa. Sie haben 25 Scouts und 500000 Euro Etat zur Verfügung, um türkisch-stämmige Jugendliche oder Profis zu überreden, für die türkischen Nationalmannschaften zu spielen. Bleibt da nicht vieles dem Zufall überlassen?

ERDAL KESER: Möglichst wenig. Uns entgeht einfach niemand mehr. Heutzutage kann keiner mehr sagen: Ich hätte gerne für mein Land gespielt, mich hat aber keiner gesichtet, mich hat ja keiner gefragt. Ich hatte damals eine Vision – und nur wenige Leute haben an mich geglaubt. Ich sehe mich als Türöffner.

Wer waren denn Ihre ersten Erfolgsfälle? Also die ersten Spieler, die in Deutschland geboren wurden, in der Bundesliga Karriere machten und nun dennoch für die türkische Auswahl spielen?

Die Altintop-Brüder Hamit und Halil. Später kamen auch noch Yildiray Bastürk oder Nuri Sahin hinzu.

Sie waren Ende der 90er ein Pionier in Ihrem Job. Ist der weltweite Wettbewerb um die Talente mittlerweile härter geworden, geradezu ein eigenes Geschäftsfeld? Die Angesprochenen werden offenkundig immer jünger.

Wir sprechen Spieler im Alter von 15 Jahren an, nicht darunter. Es gibt ja U15-Nationalteams. Ich kann nur über mich und unsere Methoden sprechen. Wir möchten überzeugen. Wir fragen jeden einzelnen: Was möchtest du? Die Spieler sollen immer selbstständig und aus freien Stücken entscheiden. Wir üben da keinen Druck aus, sind keine Headhunter.

Hier und da ein kleines Geschenk, ein paar Versprechungen – das ist doch mittlerweile Usus.

Nein, so etwas gibt es nicht. Zumindest bei mir nicht. Was andere machen, wie andere arbeiten – das ist deren Sache. Für mich ist so eine Entscheidung eine Frage des Herzens, nicht des Geldes.

Bayerns Mittelfeldspieler Hamit Altintop warf Mesut Özil vor, rein aus Karrieregründen für das DFB-Team zu spielen. Er sagte: „Hätte er sich für die Türkei entschieden, hätte er keine WM gespielt und wäre jetzt nicht bei Real Madrid.“

Gut möglich, ja. Aber in der Türkei sind wir auch nicht traurig wegen Özil.

Wie bitte? Er ist 21, war einer der besten Offensivspieler der WM.

Die Spielertypen, die wir und der DFB suchen, sind doch ganz unterschiedlich, daher haben wir eine gute Zusammenarbeit, sind keine Gegner. Wir in der Türkei brauchen eher die Geradlinigen, die Spieler, die eine starke Physis haben, die athletisch sind, diszipliniert. Der DFB sucht eher die kreativen Leute, die Dribbler, die Fummelkönige.

Wie Özil eben.

Richtig. Nur manchmal gibt es Härtefälle.

Zum Beispiel?

Bei Serdar Tasci. Er ist ein Spielertyp, von dem wir nicht so viele haben. Ein harter, klarer Innenverteidiger.

Immerhin war er einer von 23 Auserwählten in Löws WM-Kader für Südafrika.

Aber er hat bis auf die Einwechslung kurz vor Schluss im Spiel um Platz drei keinen Einsatz gehabt. Serdar hätte es bei uns viel einfacher gehabt, hätte viel mehr Länderspiele machen können. Er tut mir leid. Zauberkünstler wie Mesut Özil haben wir in der Türkei massenweise, zwar nicht mit dieser Top-Qualität, okay. Ich will nur unterstreichen: Uns schmerzt der Verlust von einem Spieler wie Serdar Tasci mehr als der von Özil.

Interview: Patrick Strasser

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