Ein Klub zum Einsteigen

Eine Reise mit Fans aus Hoffenheim lässt ahnen, was diesen Aufsteiger so sympathisch macht.
Bei Hoffenheimern duftet ein Sieg nicht nach Schampus und Scampi. Sondern nach günstigem Cassis-Likör aus Plastikbecherchen, nach Salamibroten und Dosenbier.
Mit 20 Euro plus Eintrittskarte ist man dabei: Daheim in Sinsheim rein in den Bus, die 330 Kilometer nach Bochum fahren, 3:1 gewinnen und wieder heim: So einfach ist es, Hoffenheimer glücklich zu machen und stolz. Jetzt sitzen sie hier im Bus und singen in die Nacht hinein ihre liebste Hymne: „Demba-dembademba-demba-baaaa“ – nach der Melodie von Humbatätärä. Darauf ein Likör.
Humbatätärä singen die Fans anderswo, auch die Bayern machen das. Aber die Hoffenheimer singen eben lieber über ihren Demba Ba. Einen Stürmer aus dem Senegal.
Vorhin im Ruhrstadion hat der das 1:1 erzielt, ganz frech mit der Hacke. Es war das Tor zur Wende. Vedad Ibisevic hat noch eins draufgelegt, das war schon sein elftes Saisontor. Und Carlos Eduardo hat auch noch getroffen. Sieben Minuten, drei Tore: Fertig war das 3:1. Die TSG 1899 Hoffenheim, der Aufsteiger aus einem badischen 3300-Einwohner-Kaff, bleibt Bundesliga-Spitzenreiter. Das Wunder geht weiter. Da wird man ja mal lauthals singen dürfen.
Das Gegröle wirkt kein bisschen bedrohlich. Im Bus heim nach Hoffenheim sitzen keine rauflustigen Kuttenträger. Sondern Normalos mit blau-weißen Schals, einige tragen Trikots. Keine Fanklubmitglieder, sondern Privatleute, die für den Bus zusammen legen. Viele sind schon vor zwei Jahren mit zu den Auswärtsspielen gefahren, da kickte die TSG noch in der Regionalliga. Von dort unten haben die Hoffenheimer ihre Bodenständigkeit mitgebracht.
Zwei Kinder, beide 6, die auch mitdurften nach Bochum, schlafen bald, trotz des Gesangs. Um ein Uhr nachts ist Pinkelpause, in zwei Stunden kommen sie an in Hoffenheim, Rhein-Neckar-Kreis.
Es bliebe also Zeit genug zu klären, wie es dieser Provinzklub und seine kreuzbraven Anhänger in die Bundesliga geschafft haben. Und wie sie dort auf Anhieb an die Spitze gekommen sind. Aber das weiß auch Mike Diehl (45), der Fanbeauftragte der Hoffenheimer, nicht so genau. Wo doch nicht mal der wortreiche Cheftrainer Ralf Rangnick, den sie Fußball-Professor nennen in der Branche, das schlüssig beantworten kann. Immerhin, Diehl ist aufgefallen, dass plötzlich alles anders ist.
Er sagt: „Bei Hoffenheim merken jetzt viele Menschen in ganz Deutschland, wie schön es ist, dass mal etwas Neues passiert, dass das Alte aufgemischt wird. Wir spielen immer volle Pulle nach vorn.“ So haben sie nicht nur die Tabellenspitze, sondern auch viele neue Anhänger erobert.
Vorhin in Bochum hat der Chefordner auf der Tribüne erzählt, sie hätten nur 200 Hoffenheimer Fans erwartet. Aber es sind dann 800 geworden, die Ränge waren proppevoll mit fröhlichen Siegern. 150 von ihnen sind quasi aus der Nachbarschaft gekommen, vom frisch gegründeten Fanklub „1899-Freunde Essen-Ruhr“. Plötzlich wollen sie überall Anteil haben am Phänomen 1899 Hoffenheim.
„Vor zwanzig Monaten gab es genau einen Fanklub“, sagt Diehl, „jetzt sind wir bei 50.“ Tendenz steigend. Der Klub könnte fast ersaufen in der Sympathiewelle, die über ihn hereinbricht. Diehl, der Fanbeauftragte, wagt den Versuch, diesen Aufschwung zu erklären: Wer Fußball liebe, aber mit keinem der etablierten Vereine so richtig sympathisieren könne, wer die Sportschau nur als objektiver Beobachter anschaue, für den käme nun Hoffenheim in Frage. Die TSG, findet Diehl, bietet den Unentschlossenen endlich die lang ersehnte Einstiegsmöglichkeit in ein richtiges Fan-Dasein.
Natürlich kommt hinzu, dass es schon immer schick war, zum vermeintlich Kleinen und Schwächeren zu halten. Zu Winnetou. Zu Asterix. Zu Paul Potts und jetzt, klar, zu Rangnick und Hoffenheim.
Klar, es gibt welche, die sind gegen Hoffenheim. Jene, die immer wieder erzählen, dieser ganze Hype wäre gar nicht möglich gewesen, wenn Dietmar Hopp, der schwerreiche SAP-Gründer, nicht so viel Geld gesteckt hätte in den Dorfverein, für den er früher mal selbst gekickt hat. In Bochum haben VfL-Fans vorhin ein Transparent ausgerollt: „Hopp, Hopp, Hopp, Dietmar vorn Kopp!“ Wegen solcher und ähnlich bedrohlicher Parolen geht Hopp nicht mehr zu den Auswärtsspielen.
Die Hoffenheimer regt das furchtbar auf, Heike Kainz wird mitten in der Nacht ganz energisch: „Dietmar Hopp ist ein bodenständiger, sensibler Mensch. Was dieser Mann alles Gutes tut, auch außerhalb des Fußballs, ist unglaublich. Er hilft Krankenhäusern und Kindern, ohne es an die große Glocke zu hängen. Die Schule meines Sohnes ist vor fünf Jahren abgebrannt. Hopp hat dann neue Computer gestiftet. Wer diesen tollen Mann beleidigt, sollte sich schämen.“
Im Bus nickt Nicole (30) dabei zustimmend. Sie ist Polizistin und war mal Bochum-Fan. Jetzt sitzt sie im Bus nach Hoffenheim, um den Hals einen Schal der TSG 1899. Sie ist sozusagen konvertiert. Weitere werden folgen, glaubt Diehl, der Fanbeauftragte, weil Hoffenheim-Anhänger so angenehm bodenständig und anziehend sympathisch seien. „Wir wollen überall gute Gäste sein. Wir haben keine Fans, die unangenehm austicken.“ Sondern welche, die mit belegten Broten und Likör zufrieden sind.
Sebastian Bütow