"Die logische Konsequenz": Wie Sommer nach Bayern-Abschied zum Weltklasse-Torwart reifte
Es ist schon eine besondere Auslese, die von 1988. Eine, die am Samstag nach 36 Jahren Reife in der Allianz Arena veredelt werden könnte. "Es gibt ja dieses Sprichwort: Je älter der Wein, desto besser wird er", sagt Patrick Foletti, Torwarttrainer der Schweiz. Er meint damit seinen Schützling Yann Sommer. Denn auf keinen trifft dieses Sprichwort aktuell besser zu, als auf den Keeper von Inter Mailand.
Sommer wird in Mailand schon mit César verglichen
In der Lombardei, eine malerische Weinregion, reifte Sommer in den vergangenen zwei Jahren endgültig zum Weltklasse-Keeper. Seine Leistungen harmonisch, rund und sorgen im San Siro für Ekstase, wie sie zuletzt nur der Große Júlio César erzeugen konnte. Sommer-Sprechchöre im Mailänder Fußballtempel sind keine Seltenheit. Da passt es nur allzu gut, dass seine Paraden im Halbfinale gegen Barcelona mit jener der Inter-Ikone verglichen wurden.
"Das ist für mich die logische Konsequenz der akribischen Arbeit mit seinem Torwarttrainer Gianluca Spinelli", meint Foletti im Gespräch mit der AZ. Vor allem die Leistung im Rückspiel, die Nerazzurri gewann es 4:3 nach Verlängerung, betitelt er als "gewaltig". Sommer ließ die katalanischen Ballzauberer um Lamine Yamal und Raphinha reihenweise verzweifeln. Und wurde am Ende in dieses irren Fußballspiels von der Uefa zum Man of the Match gekürt.

Foletti zur AZ: "Muss ein Ambiente kreieren, in dem ein Spieler wie Yann Vertrauen spürt"
"Wenn man die Hintergrundinformationen hat und sieht, was Yann davon umgesetzt hat, ist das super", betont sein Torwarttrainer aus der Nationalmannschaft. Sommer selbst brach nach den 120 Minuten in Tränen aus, erklärte anschließend: "Ich könnte nicht glücklicher sein." Dass der 36-Jährige nun ausgerechnet in München den Olymp des europäischen Fußballs erklimmen kann, gibt dem Ganzen freilich ein besonderes Aroma.
In den sechs Monaten beim FC Bayern wurde ihm nach schlechten Auftritten oft fehlende Körpergröße zugeschrieben. Mit 1,83 Metern ist Sommer zugegeben nicht der größte Torhüter. Zum Vergleich: Manuel Neuer ist zehn Zentimeter größer. Doch davon redet in Mailand niemand mehr. Vielmehr setzt man auf Sommers innere Größe. "Ich muss ein Ambiente kreieren, in dem ein Spieler wie Yann Vertrauen spürt, damit er solche Leistungen abliefern kann", so Foletti.
Sommer bekam beim FC Bayern zu wenig Vertrauen
Das sieht der Italo-Schweizer als entscheidenden Unterschied zurzeit beim Rekordmeister. Unter Coach Julian Nagelsmann und später Thomas Tuchel war es oft hektisch, zu hektisch. Ein guter Wein braucht allerdings ausreichend Ruhe, um sich zu entfalten. Trainer Simone Inzaghi gibt ihm genau die. Es war aber nicht nur das Vereinsumfeld, dass nicht so wirklich zum eher zurückhaltenden Sommer passte.
"Auch der Lifestyle oder die Familie führen dazu, dass ein Spieler auf dem Level, auf dem Kleinigkeiten den Unterschied machen, performt", erklärt Foletti. Deshalb der Wechsel von der nördlichsten Stadt Italiens, wie München genannt wird, in die Kapitale von Mode und Design. Dolce Vita in Milano statt Wirtshaus-Ambiente in Monaco di Baviera. Rotwein an den Navigli-Kanälen statt kühles Helles an der Isar.

Foletti: "Yann wird ein super Spiel machen"
Sommer genießt genau dieses Lebensgefühl, fährt auch mal mit seiner Tochter mit dem E-Scooter durch die Stadt. Mit der Mailänder Gelassenheit soll es nun was mit dem Henkelpott werden. Zumal schon der Scudetto, der Meistertitel der Serie A, am letzten Spieltag nach Neapel ging. "Yann wird ein super Spiel machen", ist sich Foletti sicher: "Er hat im Viertelfinale und im Halbfinale bewiesen, dass er sich auf der mentalen Ebene super vorbereiten kann."
Das sei in einem Endspiel das Wichtigste. "Ein Finale ist eine rein mentale Angelegenheit", so der Torwarttrainer zur AZ. Ob die Mailänder Mentalität von Sommer reicht, um die jungen Wilden aus Paris verzweifeln zu lassen? Eines ist sicher: Dass er mit bald 37 Jahren nach seiner Zeit beim FC Bayern in München den Henkelpott gewinnen kann, macht die Geschichte ohnehin schon speziell.