"Die Leere, die ist immer da" - Trauer um Robert Enke
HANNOVER - Die Fußball-Welt ist erschüttert und geschockt: Nationaltorwart Robert Enke wurde an einem Bahnübergang von einem Zug überrollt. 2006 war seine kleine Tochter gestorben. Sein Boss sagte am Dienstagabend: „Er war labil“ - Ein Nachruf.
Martin Kind erfuhr die fürchterliche Nachricht als einer der Ersten. Der Präsident von Hannover 96 war gerade von der Trainertagung aus Frankfurt zurückgekommen, als am Flughafen Hannover das Handy läutete. Die schreckliche Neuigkeit: Robert Enke ist tot. Selbstmord, wie sich bald bestätigte. Dienstagabend an einem Bahnübergang, in Neustadt am Rübenberge im Ortsteil Eilvese, wo der Nationaltorwart von einem Zug erfasst wurde und getötet.
Schockiert und fassungslos reagierten die, die ihm nahe standen, die ihn gut kannten. Warum sich Enke das Leben genommen haben sollte, das konnte kaum einer begreifen. Jetzt, als im Leben des 32-Jährigen alles wieder halbwegs geregelt zu laufen schien. Aber es schien eben nur so.
"Er war labil“, sagte Klub-Präsident Kind noch, in einer Stunde, als Enkes Frau Teresa mit einem schweren Schock in die Notaufnahme kam. „Er hat das überlagert. Ich bin sicher, dass es nichts mit Fußball zu tun hatte.“ Also doch mit dem Tod seiner Tochter vor drei Jahren? Oder mit einer neuerlichen Diagnose seiner bakteriellen Infektion? Oder, was am wohl unwahrscheinlichsten schien, doch die Angst um die WM-Nominierung? Jenem Turnier, das der Höhepunkt seiner Karriere sein sollte.
Eine Karriere, die in Jena begann, seinem Geburtsort. Eine Karriere, die wechselhaft war. Höhen, Tiefen, wie das ganze Leben des Torwarts, der so gar nicht passte in das Bild der weichgespülten und glatten Bundesliga-Profis. Enke war jemand, dessen Horizont über die Torauslinie hinausging, der sich interessierte für Kunst, für Kultur, für soziale Stiftungen und der sich für den Tierschutz engagiert.
Enke war doch einer, bei dem es gut los ging. Mit 19 spielte er schon Bundesliga, Mönchengladbach, bald ging er ins Ausland. 1999 Benfica Lissabon, 2002 dann zu dem Verein, der ein Traumziele eines jeden Profis ist. FC Barcelona. Doch das wurde ein Albtraum, ein erster schwerer Rückschlag. Nur einmal stand er zwischen den Pfosten. Sonst saß er nur auf Bank oder Tribüne.
Auch in der Türkei wurde er nicht glücklich, Fenerbahce Istanbul verließ er 2003 nach nur einem Spiel, nachdem ihn die Fans einem 0:3 gegen Istanbulspor mit Dosen und Münzen bewarfen. Damals sagte er: „Bevor man noch unglücklicher wird, zieht man lieber den Schlussstrich." Ein Satz, der grausam klingt, jetzt im Zusammenhang mit Enkes Selbstmord.
Das Drama um Töchterchen Lara
Über Teneriffa kam er zurück in die Bundesliga, nach Hannover, zumindest sportlich ging es dort ab 2004 aufwärts, und auch privat schien alles bestens. Enkes Frau Teresa war hochschwanger, als er bei den 96-ern anheuerte, im August kam Töchterchen Lara auf die Welt. „Unser Sonnenschein“, wie Enke einmal sagte. Ein Sonnenschein, auf dem aber von Beginn an dunkle Wolken lagen. Wegen Laras Krankheit.
Die linke Herzkammer war verkümmert, mit 18 Monaten hatte sie schon drei Operationen hinter sich. Im März 2006 gab es noch Hoffnung, Lara schien über den Berg, und als Robert Enke nach einem 1:0 gegen Köln mit seiner 18 Monate alten Tochter im Arm im Stadion von Hannover eine Ehrenrunde drehte, da hatten viele der Zuschauer Tränen in den Augen. Vor Rührung.
Ein halbes Jahr später weinten sie wieder. Aus Trauer. Denn da war Lara tot. Der Herzfehler erwies sich als irreperabel. „Die Leere, wenn jemand stirbt, die ist immer da“, sagte Enke nach Laras Tod.
Damals spielte Enke sofort weiter, gleich zurück in den Alltag wollte er, und der Alltag half ihm, denn 2007 durfte er sein Debüt in der Nationalmannschaft feiern. Beim 0:1 im Testspiel gegen Dänemark. Enke überzeugte, er schien auf dem Weg zur Nummer eins, zum Stammtorwart für die WM in Südafrika. Den letzten seiner acht Einsätze hatte er im August beim 2:0-Qualisieg in Aserbaidschan.
Nicht nominiert für die Testspiele
Doch die nächsten vier Länderspiele verpasste Enke, wegen eines zunächst rätselhaften Infekts, das sich dann als bakterielle Mageninfektion entpuppte. Bald war er wieder genesen, zuletzt spielte er am Sonntag beim 2:2 gegen den Hamburger SV. Doch für die Testspiele am kommenden Samstag und Mittwoch gegen Chile und die Elfenbeinküste wurde er von Bundestrainer Joachim Löw nicht nominiert. Dennoch machte Löw klar, dass Enke weiterhin gute Chancen auf die WM habe. Und wenn nicht als Stammtorwart, dann zumindest als einer der beiden Reservisten.
Dann wären wohl auch Frau und Tochter dabei gewesen. Leila, die dann 15 Monate gewesen wäre. Ein in Deutschland geborenes Mädchen, das Robert und Teresa Enke im Mai, vor genau einem halben Jahr adoptierten. „Wir sind sehr, sehr glücklich für diesen kleinen Menschen, der in unser Leben getreten ist", sagte Enke damals. „Ob wir noch einmal ein eigenes Kind wollen, das kann ich jetzt nicht sagen. Wir brauchen noch Zeit.“ Zeit, die sich Robert Enke nicht mehr nehmen wollte.
Als Robert Enke vor einem Jahr gefragt wurde, ob er an Gott glaube, an ein Schicksal, sagte er: „Ich weiß nicht, ob jemand das Leben lenkt. Aber so viel weiß ich: Man kann es nicht ändern. Ich glaube, dass alles seinen Sinn hat.“ Warum sich Robert Enke am Dienstag um 18.25 Uhr in Eilvese vor den Zug warf, diesen Sinn kannte nur er. Zurück bleibt Trauer, Bestürzung, Fassungslosigkeit. Zurück bleibt bei seiner Familie die Leere. Die Leere, die da ist. Wenn jemand stirbt.
Florian Kinast