Del Bosque steht am Pranger
Der Verzicht auf einen Stürmer in der Startelf gegen Italien sorgt bei der spanischen Nationalmannschaft für Irritationen. Fernando Torres war sichtlich getroffen, und auch internationale Experten schütteln den Kopf.
Danzig - Das Spiel war gerade abgepfiffen, da stand Vicente del Bosque bereits am Pranger. „Das spanische Mittelfeld hat viel Aufwand betrieben, aber ohne einen echten Stürmer war die Mannschaft steril“, mäkelte Startrainer Jose Mourinho von Real Madrid am Kollegen der Nationalmannschaft herum. Die Idee von del Bosque, es im EM-Auftaktspiel gegen Italien mit einer Null-Stürmer-Taktik mit einer „falschen Neun“ zu probieren, erwies sich als Flop: Titelverteidiger Spanien kam über ein 1:1 (0:0) nicht hinaus.
Die Passmaschine der Welt- und Europameister brummte zwar gewaltig, sie lief bisweilen auf Hochtouren – aber sie produzierte zu wenig. Del Bosque hatte beim Stotterstart des Turnierfavoriten in die EM völlig überraschend auf einen nominellen Stürmer in der Startformation verzichtet und dafür lieber Mittelfeldspieler Cesc Fabregas aufgestellt. Grund genug auch für Luis Aragones, sein Unverständis zum Ausdruck zu bringen. „Ich hätte mit einem Mittelstürmer gespielt“, schrieb del Bosques Amtsvorgänger am Montag in seiner Kolumne in der Sporttageszeitung Marca, und bekannte: „Cesc als falsche Neun hat mich überrascht.“ Erst nach der Einwechslung von Fernando Torres (74. Minute) sei Italien in Bedrängnis geraten, weil „El Nino“ Räume aufgerissen und „viel Schaden“ angerichtet habe, urteilte der „Weise von Hortaleza“ weiter. Weltmeister-Trainer del Bosque ließen die kritischen Nachfragen nach seiner Taktik kalt – der „hombre tranquilo“ (ruhiger Mann) sieht offenbar auch wenig Grund zu Veränderungen.
„Wir haben das gemacht, was wir für das Beste hielten. Ich hielt es für den richtigen Zeitpunkt, das zu probieren. Im Allgemeinen ging der Plan auf“, sagte er äußerlich völlig unbeeindruckt. Der Weltmeister-Trainer schloss nicht aus, auch im zweiten Gruppenspiel am Donnerstag gegen Irland (20.45 Uhr/ARD) Fabregas ganz vorne zu bringen. „Möglich, dass wir wieder so spielen“, sagte del Bosque dem spanischen Radiosender Cadena Ser: „Wir haben drei fantastische Stürmer, aber Fabregas ist auch ein guter Stürmer.“ Das kann man durchaus so sehen, auch beim FC Barcelona kam Fabregas bereits als nomineller Mittelstürmer zum Einsatz.
Aus dem Team kam jedenfalls keine Kritik, was vielleicht auch am Versagen des eingewechselten Torres lag. Der Schütze des entscheidenden Treffers im EM-Finale 2008 gegen Deutschland (1:0) scheiterte erst kläglich im einem Eins-gegen-Eins-Duell an Italiens Torwart Gianluigi Buffon (75.). Und bei seinem Lupfer (85.) über das Tor hätte er besser auf den völlig freien Jesus Navas gespielt. Torres hätte nach den Treffern von Antonio Di Natale (61.) und Fabregas (64.) das Spiel im Alleingang entscheiden können.
Doch das Selbstvertrauen, das er durch die EM-Nominierung zurückgewonnen zu haben schien, litt wohl durch die Verbannung auf die Bank. Während sich Fabregas über seinen Treffer freute und von einem „nicht so schlechten Unentschieden“ sprach, stellte sich Torres mit regungsloser Miene und leeren Augen der Presse. „Es hat mich nicht überrascht, dass Cesc gespielt hat“, sagte der 28-Jährige: „Der Trainer hat sich aufgrund der italienischen Dreier-Abwehr für dieses System entschieden. Wenn Cesc weiterhin trifft, soll er weiter spielen.“
Unabhängig von der Stürmerfrage offenbarte das Spiel weitere Probleme für den Titelverteidiger. Der Welt- und Europameister scheint nicht eingespielt, zeigte ungewohnte spielerische Schwächen, die Außenverteidiger Alvaro Arbeloa und Jordi Alba wirkten unsicher.
Und: Der Seleccion fällt das Toreschießen zunehmend schwerer, die Gegner stellen sich immer besser auf das Tiki-Taka ein. 'Für Spanien - noch mehr ohne Villa – ist das Toreschießen wie Feuermachen mit zwei trockenen Hölzchen. Es braucht Zeit", schrieb die Sporttageszeitung AS.
Und die Spielzeit ist begrenzt, wie auch Spielmacher Xavi festellen musste: „Hätten wir fünf Minuten länger gespielt, hätten wir gewonnen.“