Das Schweigen der Vuvuzelas

Das 0:3 des Gastgebers Südafrika lässt nicht nur die Tröten verstummen, sondern versetzt die Fans von Bafana Bafana in einen Schockzustand. Ein Stimmungsbericht aus Johannesburg.
JOHANNESBURG Es hätte ein Fest für Johannesburg und das ganze Land werden sollen. Doch was mit dem leidenschaftlichen Singen der Hymne, begeisterten Sprechchören und dem unvermeidlichen Dauertröten begann, versank am Ende in einer für Johannesburger Verhältnisse ungewöhnlichen Mischung aus betretenem Schweigen, ersten Anflügen von Jetzt-erst-recht-Trotz, eingerollten Fahnen und nur noch vereinzelt wahrnehmbaren, rostigen Vuvuzela-Geräuschen.
„The Black Steer“, Rosebank, Johannesburg: Nelson aus dem Stadtteil Linden hat seinen Minibus, mit dem er ansonsten Gäste aus der ganzen Welt durch die Endlos-Stadt kutschiert, heute zeitig abgestellt. Wenn die Bafana Bafana spielt, steht Johannesburg still. Auch Nelson hätte sich das Spiel gerne live angesehen. Tickets sind allerdings schon seit Wochen nicht mal mehr auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Deswegen also der Fußballabend im „Black Steer", einem Burgerbrater der besseren Sorte, mit angeschlossener Sportsbar. Zum Essen ist Nelson heute nicht hier, ihn und die rund 50 anderen Gäste interessiert nur das Spiel.
„Das Spiel", mehr musste man zuletzt in Johannesburg nicht sagen – was und wer gemeint war, wusste jeder. Bier auf dem Stehtisch, dicke Rauchschwaden wabern durch den Raum, doch das ist alles besser als das bei vielen Südafrikanern verhasste Public Viewing, das bei Temperaturen um den Gefrierpunkt kein reines Vegnügen ist.
Dagegen das hier: Schon eine Stunde vor Anpfiff wird gejubelt, gesungen und die Vuvuzela aufgewärmt. An den Wänden Flachbildschirme, an den Tischen nicht der Hauch eines Zweifels, dass mit einem Sieg gegen Uruguay das Achtelfinale klar gemacht wird. Eine Stimmung, die mit euphorisch zurückhaltend umschrieben ist. Aus dem nahegelegenen Stadion hört man den Lärm der Vuvuzelas. Was soll da schon passieren?
Dann ein Moment, wie man ihn in Deutschland vermutlich nie erleben würde: die Hymne. Die Hand aufs Herz, lautstarkes, enthusiastisches Mitsingen ist hier Ehrensache. Ob er sich vorstellen könne, dass in Deutschland manche Spieler die Hymne nicht singen? Nelson schaut sich irritiert um, ganz so als würde er die Frage nicht verstehen. Und recht hat er: Ein Blick in den „Black Steer" reicht, um die die Antwort zu finden.
Mittendrin in so viel geballter Euphorie vor den Bildschirmen ist auch einer, der eigentlich gar nicht dazugehört: Emanuel aus Ghana. Doch was heißt schon nicht dazugehören! Natürlich gehört auch Emanuel dazu, weil an diesem Abend alle Südafrikaner sind. Und außerdem erklärt Emanuel, wie die Fans auf dem schwarzen Kontinent ticken: Generell hält man immer zu einem afrikanischen Team, weswegen der Ghanaer nun eben auch Südafrikaner ist. Dass er davon überzeugt ist, dass zum einen Südafrika die Vorrunde nicht überstehen wird, muss man im Rahmen der Verbrüderung nicht allzu laut sagen.
Bafana Bafana, die Tröten, mehr oder weniger fachmännische Kommentare, die Rauschschwaden und das ständige Zischen vom Öffnen der Bierflaschen (bei denen man die Kronkorken aufdreht) – dies ergibt einen Mix, der Europäern erst einmal fremd vorkommt. Tatsächlich aber liegt in der Begeisterung für den Fußball in dieser Sportsbar nichts Aggressives. Im Gegenteil, wer hier reinkommt, gehört sofort dazu.
Das große Fußballfest hat lediglich drei Haken: einen in der 24. Minute, einen in der 80. Minute und einen wenige Sekunden vor Schluss. 0:3 unterliegt Bafana Bafana und die Begeisterung weicht einer bitteren Enttäuschung, wohl auch deswegen, weil man ahnt, dieses Spiel nicht einmal unverdient verloren zu haben. Nelsons zu Anfang strahlende Augen haben ihren Glanz verloren, die Vuvuzela steht irgendwie deplatziert auf dem Tisch rum und langsam macht sich im „Black Steer" eine dumpfe Ahnung breit: dass es das demnächst gewesen sein könnte mit der WM für Südafrika. Nächste Woche wartet noch Frankreich. Ein Spiel, das unbedingt gewonnen werden muss. „Wir kommen nochmal zurück", sagt Nelson, packt Fahne und Vuvuzela ein – und man weiß nicht so recht, ob er wirklich daran glaubt. Sicher ist nur, dass er nächste Woche mit den anderen wieder hier stehen wird.
Christian Jakubetz